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DIE STADT EMDEN, DIE NAZIS UND IHR FÜHRER

Was WIR nie vergessen werden und was WIR fast gewusst hätten

 

Unter dem Motto „Wir werden diesen Tag nie vergessen“ fand im September 2004 in Emden eine Woche des Gedenkens an die Zerstörung der Stadt durch einen alliierten Bombenangriff vor damals 60 Jahren statt. Ich werde diese gespenstischen Tage nie vergessen, als sich eine ganze Stadt in der Kunst des Verleugnens übte. Anlässlich der Gedenkausstellung, die die Woche prägte, war die Parole ausgegeben worden, man wolle das Erinnern auf die Zerstörung der Stadt und den Wiederaufbau beschränken. Für die Schilderung (eher bloße Erwähnung) der Jahre davor, in denen die Emder ihre Stadt zerstörten, sei (leider) kein Raum.

Was das Unbegreifliche an der Geschichte war, fast die ganze Stadt hat sich fast die ganze Zeit an diese Vorgabe gehalten. Es gab und es gibt wohl in Emden ( und vielen anderen deutschen Städten) ein starkes Verlangen, einen Schlussstrich zu ziehen, ein Verlangen, das unausgesprochen bleiben muss. Man geriete mit solchem Ansinnen in die Nähe des rechten Rands. Daher auch die fadenscheinigen Begründungen vom fehlenden Raum.

In Ostfriesland ist nach einer eher langen Schamfrist der Begriff der „Stunde Null“ oft verwendet, geradezu ausgeleiert worden, die „Stunde Null“, vor der es nichts gab und ab der alles neu anfing, aus dem Nichts sozusagen. Dies alles ging mir während dieser denkwürdigen Woche durch den Kopf, dieser Woche der großen Einsamkeit und des Entsetzens darüber, wie blind gegenüber ihrer Vergangenheit eine Stadt sein und gemacht werden kann. Wenn ich so durch die Straßen ging, an so manchem denkwürdigen Denkmal vorbei, versuchte ich mir einen Reim darauf zu machen, was da vorging. Erst in letzter Zeit wird mir klar, was mich daran gehindert hat, das Geschehen zwischen den dreißiger Jahren und heute zu verstehen. Letztlich war ich auch der Illusion aufgesessen, es habe da plötzlich im Bewusstsein der Menschen einen Punkt gegeben, ab dem alles anders wurde.

Es gab einige Überlebende aus den KZs, die sich später, als sie längst befreit waren, das Leben nahmen. Liest man ihre Gedanken, dann erfährt man, dass sie sich nach der „Stunde Null“ genauso fremd fühlten wie zuvor. Sie sahen bei vielen hinter der wiedergewonnenen Selbstgerechtigkeit die Kontinuität in den Anschauungen und Haltungen, die jetzt aufgrund der Umstände nur nicht zu Taten werden konnten. Sie starben am Unverständnis, das ihnen selbst von Gutmeinenden entgegenschlug. Alle redeten von einer Änderung, die so nicht stattgefunden hatte. Ab und zu , wenn mal wieder ein Asylbewerberheim brennt oder Farbige über den Dorfplatz gejagt werden, werden wir heute noch daran erinnert.

Bei der Bundestagswahl 1949 wählten über 30% der Emder Bürger rechtsextreme Kandidaten, bei der Reichstagswahl 1933 hatten 37,8% für die NSDAP gestimmt.

Die Veränderungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den Institutionen und Vereinen, bei den Honoratioren, vor sich gingen, waren so weltbewegend nicht, und die historischen Untersuchungen darüber wurden erst in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts durchgeführt. Sie sprechen von einer geschichtlichen Kontinuität in den Entwicklungen von den späten 20er bis zu den späten 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts.

Einer, der in den 20er und 30er Jahren seinen langsamen, aber unaufhaltsamen Ausschluss aus der „besseren Gesellschaft“ Emdens erfuhr und in seinen autobiographischen Aufzeichnungen reflektierte, war der jüdische Arzt und spätere Emigrant Dr. Julian Kretschmer. War er anfangs noch ein Feigenblatt, das die Toleranz und Liberalität der Honoratioren nachweisen sollte, wurde er nach der Machtergreifung ganz kurz und schlicht fallen gelassen. Er beklagte sich „über den Mangel an Charakter des deutschen Volkes“. So heißt auch das Buch, in dem seine Aufzeichnungen beschrieben sind.

Vor dem Hintergrund der langen geschichtlichen Kontinuität wird es wohl noch eine gute Weile dauern, bis wir genug über das Dritte Reich in Emden wissen, vor allem auch deshalb, weil wir die verfälschenden Eindrücke, die einem nach 1945 andauernden rechtsextremen Umfeld zu verdanken sind, genauestens überprüfen und berichtigen müssen. Nicht nur die Nazizeit ist zu erforschen, sondern auch die Bemühungen danach, sie zu vernebeln, vieles zu leugnen, die Zeit, in der die heimkehrenden Emigranten von den Volksgenossen als Vaterlandsverräter an den Pranger gestellt wurden.

Hier gibt es einen tabellarischen Überblick über den Faschismus in Emden.

 

 

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wollte man schon gedenken, aber natürlich ohne dabei zu genau zu werden. Alles sollte ja im Rahmen bleiben.

In einer gehobenen Honoratioren-Sprache bekamen die einfachsten Tatsachen nahezu lyrische Weihen:

„Das große Unheil der Jahre 1939 – 1945 brachte Verderben ueber die Stadt+++Das alte Rathaus fiel in Truemmer+++Auf seinen Grundmauern erbauten Emdens Buerger dieses neue Haus.“ („Erbauten“ ist viel zu prosaisch, das muss mindestens „errichteten“ heißen.)

Die 12 Jahre des Verbrechens, des Frevels und der Schande werden ins Schicksalhafte verklärt und vernebelt: zu Unheil und Verderben, das (wohl von außen) über die Stadt gebracht wird. Das Bemerkenswerte und immer Gleiche an solcher Sprache sind die fehlenden menschlichen Subjekte (Ausnahme: die Emder Bürger, aber die tun etwas nicht zu Beanstandendes, etwas Gutes, bauen auf, was sie zerstört haben). Sonst haben wir nur Unpersönliches: ein Unheil, das Verderben bringt, und ein einfallendes Rathaus. Das ist alles irgendwie von selbst passiert.

 

 

Die Inschrift auf dem Denkmal des jüdischen Friedhofs lautet: „Die Bürger der Stadt Emden trauern um ihre jüdischen Mitbürger, Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1933 – 1945.“ Bei einem jüdischen Mitbürger zumindest hat ein Emder Bürger selbst Hand angelegt und ihn erschossen. Die anderen wurden von Emder Bürgern deportiert. Soviel zur nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, in einer kleinen Stadt wird dieser Begriff besonders fadenscheinig, nahezu durchsichtig.

 

 
 

Auf dem Denkmal zur Erinnerung an die niedergebrannte Synagoge steht:

„Durch Brandstiftung zerstört während des Nazipogroms in der Nacht vom 9. November 1938. Unsere jüdischen Mitbürger wurden entrechtet, verfolgt, gequält und ermordet.“

Wer das Benzin geliefert, wer die Synagoge angezündet hat und wer noch in derselben Nacht auf einen jüdischen Mitbürger geschossen hat, der wenig später seinen Verletzungen erlag, alle diese Emder Bürger sind namentlich bekannt.

Der Faschismus ist in der Gedenksprache ein Geschehen ohne Subjekt, Verbrechen ohne Täter, Geschichte ohne handelnde Personen. Am wichtigsten bleibt, dass es feierlich zugeht, in gehobener Sprache, damit es nicht zu verständlich wird.

Erst in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts erschienen Untersuchungen über die geschichtliche Entwicklung Ostfrieslands, die von der Weimarer Republik in die Bundesrepublik hinein reichten. Während das eine Werk die „historischen Kontinuitäten“ schon im Titel trug, weisen die Ergebnisse des anderen in die gleiche Richtung.

Dietmar van Reeken „Ostfriesland zwischen Weimar und Bonn. Eine Fallstudie zum Problem der historischen Kontinuität am Beispiel der Städte Aurich und Emden“, Hildesheim, 1991

Inge Lüpke-Müller „Eine Region im politischen Umbruch. Der Demokratisierungsprozess in Ostfriesland nach dem Zweiten Weltkrieg“, Aurich, 1998

In den Oldenburgischen Beiträgen zu jüdischen Studien (18) finden sich die Hintergrundinformationen aus dem Emden der 20er und 30er Jahre:

Detlef Garz, Gesine Janssen „Über den Mangel an Charakter des deutschen Volkes. Zu den autobiographischen Aufzeichnungen des jüdischen Arztes und Emigranten Dr, Julian Kretschmer aus Emden“, Oldenburg, 2006

 

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