10. Zwischenstand

 

Was überall auf dem Boden der Bundesrepublik in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus erreicht wurde, ist ein Zwischenstand. Ein Herr Oettinger versucht, einem Herrn Filbinger, einem gutbürgerlichen, jovialen Blutrichter, in seiner Grabesrede einen Heiligenschein aufzusetzen, den Parteigenossen zum Gegner des Nationalsozialismus zu stempeln. Aber er muss zurückrudern.

Und natürlich kam wieder die alte, dumme, abgedroschene Frage auf: "Was hättest du denn gemacht in der damaligen Zeit? Hättest du den Mut und die Einsicht gehabt zu widerstehen?" Das ist keine ernstgemeinte Frage, sondern ein Totschlagsargument. Wie kommt jemand dazu, der zu denen gehört, denen ich zu verdanken habe, dass ich im Alter von 3 Jahren auf der Flucht war, frierend und müde, einmal auf den Tod krank, mangelernährt und in Not, mir eine solche Frage zu stellen? Wie unverschämt muss jemand sein, der mich durch seine Verantwortungslosigkeit in eine derartige Lage brachte, mir eine Frage zu stellen, die mich zum Kumpanen seiner Untaten machen soll? Warum entschuldigt er sich nicht einfach bei seinen direkten Opfern und bei seinem indirekten Opfer, bei mir?

Auch der Karstadt-Quelle-Konzern muss seinen Gewinn aus dem billigen Erwerb seiner arisierten Grundstücke nun mit den rechtmäßigen Erben teilen.

Das ist die eine Seite. Aber es gibt noch viele offene Fragen.

Der Versuch in Emden 2004, zum 60. Jahrestag der Zerstörung der Stadt sich ein reines Gewissen zu machen, war schnell gescheitert. Drei Jahre später muss man zugeben, dass Adolf Hitler Ehrenbürger war, dass Emden zu den ersten Städten gehörte, die ihm dies Würde verliehen. Und am 10.5.2007 wurde sie ihm schließlich aberkannt.

Noch warten müssen wir auf ein Zeichen der Erinnerung an die 5 toten Zwangsarbeiterkinder und Säuglinge, die unerkannt auf dem Grabfeld für anonyme Bestattungen des Friedhofs Tholenswehr ruhen. Dem Gerücht über die Erschießung von 11 Niederländern auf dem Gelände der Kaserne in den letzten Tagen des Krieges muss weiter nachgegangen werden.

Exponate, die das Jahrhunderte alte jüdische Leben in ihrem wichtigen nordwestdeutschen Zentrum Emden zeigen, sucht man im renovierten Landesmuseum noch immer vergeblich, sieht man einmal von dem verlorenen Modell der durch Brandstiftung zerstörten Synagoge ab.

Am ungewollt genialsten ist der Emder Zwischenzustand an den beiden Denkmälern im Rathausbogen und in der anschließenden Brückstraße abzulesen. Hier die nichtssagende Schönfärberei, dort das Aussprechen unbequemer Wahrheiten. Mit etwas Anstrengung kann man die Worte auf den verdreckten, beschmierten Tafeln lesen.

Hier sind sehr gegensätzliche Kräfte am Werk.

Auch Erinnerung hat Geschichte. In Emden wie überall in Deutschland waren die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg von Schweigen und Schönreden gekennzeichnet.

"Die überraschende Solidarität der bundesrepublikanischen Gesellschaft mit den Schuldigen an Völkermord und Krieg und die Dynamik ihrer sozialen Reintegration können als ein Beweis für die enorme Identifikationskraft des Nationalsozialismus angesehen werden. (..) Die Politik der Rehabilitierung der einstigen Nationalsozialisten war die Folge eines kollektiven Wunsches der Mehrheit der Deutschen und trug wesentlich dazu bei, daß der profunde Unrechtscharakter des NS-Regimes in Vergessenheit geriet. Letztendlich handelte es sich nicht um die Resozialisierung einer bestimmten Zahl von Verbrechern, sondern um die moralische Rehabilitierung von Millionen." ( Michael Kasper, Gernika und Deutschland - Geschichte einer Versöhnung, Guernica, 1998, S. 36., zitiert nach Gerhard Piper "Guernica-Geschichte eines Luftangriffs")

Dann gab es den inzwischen oft verfluchten Aufbruch von 1968, der eine Generation, die meinte, sich schon darum herumgemogelt zu haben, in die Defensive drängte. Da war nun kein Halten mehr. Immer mehr Biedermänner wurden entlarvt. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit stand auf der Tagesordnung und bis in die 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts wurden große Fortschritte erzielt. Die heute zum Ritual reduzierte Betroffenheit war damals ernst gemeint. Das inzwischen heruntergekommene Denkmal war neu. Ein Beispiel aus dieser inzwischen schon sehr fremden Zeit bildet das Gedenken an 50 Jahre Progromnacht und Zerstörung der Synagoge durch Brandstiftung, begangen von Emdern.

Hier ein Bericht über die damalige Gedenkveranstaltung (pdf-Datei, ca. 1,1 MB, dafür gut zu drucken).

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