4. Wir haben die Juden verloren

 

 

Nachdem sie schon gleich zu Beginn der Herrschaft der Nationalsozialisten verfolgt worden waren, verschlechterte sich die Lage der Juden in Emden wie überall im Reich. Die Nürnberger Gesetze schrieben den Rassenwahn, die Überlegenheit der "Arier" und die Nichtswürdigkeit der Juden fest. Die "Arisierung", die Enteignung jüdischen Vermögens, die in Emden 1939 abgeschlossen war, und zuvor die Progromnacht vom 9.11.1938, das Niederbrennen der Synagoge, ebneten den Weg in die Vernichtung. Auch hier hatte Emden eine führende Rolle inne. In dieser Nacht wurde der jüdische Schlachter Daniel de Beer niedergeschossen. Er erlag wenig später seinen Verletzungen. Nicht in jeder deutschen Stadt war schon die Reichspogromnacht mit einem Mord verbunden.

Die Namen von 465 ermordeten Emder Juden sind auf dem 1990 errichteten Denkmal auf dem jüdischen Friedhof verzeichnet.

1949 ergingen die Urteile gegen 40 wegen der Synagogen-Brandstiftung angeklagte Nazis. 17 wurden freigesprochen. Dem SA-Mann Böhmer, durch dessen Hände Daniel de Beer gestorben war, konnte der tödliche Schuss nicht nachgewiesen werden. Er wurde wegen "Freiheitsberaubung mit Todesfolge" zu 5 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Eine kurze Schilderung der Pogrom- und Mordnacht in Emden gibt der Studienkreis Widerstand (Ausschnitt).

 

 

Von den 91 Morden an Juden im Deutschen Reich im Zusammenhang mit der "Reichskristallnacht" fand einer in der Kleinstadt Emden statt.
 

Danach trat in Emden ein Jahrzehnte langes Schweigen ein, das am 17. Juni 1980, dem damaligen "Tag der deutschen Einheit", gewaltsam beendet wurde. Antisemiten, Alt- oder Neo-Nazis warfen auf dem jüdischen Friedhof 60 Grabsteine um und beschädigten sie.

1987 wurde der Arbeitskreis "Juden in Emden" gegründet. 1988 erschien das Buch von Claudi & Claudi "Die wir verloren haben", das meines Wissens nicht mehr im Buchhandel erhältlich ist.

Das Schicksal einer jüdischen Emderin, Sophie Yaari, geborene Nußbaum, ist jedoch in einem mehrseitigen Lebenslauf auf der Webseite der Humboldt State University (Kalifornien) heute noch nachzulesen. Es zeigt ein typisches jüdisches Schicksal während der Nazizeit und danach.

Der Bericht datiert aus dem gleichen Jahr wie Claudis Buch. Er ist in englischer Sprache abgefasst. Er ist zu finden unter http://www.humboldt.edu/rescuers/book/Pinkhof/yaari/sophie1.html

Zwei Denkmäler, am Ort, wo früher die Synagoge stand, und auf dem jüdischen Friedhof, wurden errichtet. Eine Straße wurde nach dem jüdischen Widerstandskämpfer Max Windmüller benannt.

In der Broschüre zur Ausstellung der Ostfriesischen Landschaft "Das Ende der Juden in Ostfriesland" (Aurich, 1988) ist unter "Emden" zu lesen:

"Die jüdische Gemeinde Emdens (1925: 700 Personen) war die älteste, größte und bedeutendste Ostfrieslands. Als Sitz des Landesrabbinats war sie das geistliche Zentrum nicht nur Ostfrieslands, sondern auch der Landdrostei Osnabrück." (S.47)

"Nach der Kristallnacht löste sich die Gemeinde auf...Hausrat und Geschäfte sind nur zu Schleuderpreisen zu verkaufen; die 'Arisierung' wird 1939 abgeschlossen. Geschäfte wechseln den Besitzer oder verschwinden. So die Läden in der Kleinen Brückstraße: S.Wolff, Philipson, Nußbaum, Weinberg; Sternberg und Schulmann in der Neutorstraße; Bäcker Wolff in der Faldernstraße; van der Walde in der Wallstraße und das Kaufhaus Valk, Zwischen beiden Sielen, um nur einige zu nennen. Der Platz zwischen Sandpfad und Judenstraße, wo Synagoge und Schule gestanden hatten, wird später geschleift und überbaut." (S.51 f)

Allerdings wurde nach dem Pogrom auch der Antisemitismus angeheizt. Am Ende des Jahres fanden sich Fotos von Juden mit diskriminierenden, hämischen Bildunterschriften in der "Ostfriesischen (nationalsozialistischen) Tageszeitung".

Denkmal für die ermordeten Juden
 

 

Auf dem großen Denkmal auf dem jüdischen Friedhof steht, die jüdischen Mitbürger seien Opfer der "natioanlsozialistischen Gewaltherrschaft" geworden. Jeder weiß, dass die "Nationalsozialistische Gewaltherrschaft" in Emden Namen mit Anschrift hatte. Die "Nationalsozialistische Gewaltherrschaft" waren Nachbarn und Mitbürger, Mitglieder im Rat der Stadt, Beamte, Polizisten, Juristen, Lehrer. Wer das Benzin zum Anzünden der Synagoge lieferte, ist bekannt. Viele, die aus der "Arisierung" ihren Nutzen zogen, waren - und ihre Erben sind - wohlangesehene Emder Kaufleute.

Einen festen Platz neben dem Antisemitismus nahm in der rassistischen Ideologie der Gedanke an die "Höherzüchtung" des deutschen Volkes ein. "Minderwertige, lebensunwerte Volksgenossen" mussten entweder ausgerottet oder von der Fortpflanzung ausgeschlossen, d.h. sterilisiert werden. Waren die jüdischen Deutschen allein aufgrund ihrer Abstammung als "Schädlinge" zur Ausrottung bestimmt, so entschieden für die arischen Deutschen am Ende sogenannte "Erbgesundheitsgerichte" über das Schicksal der als "erbkrank" oder "asozial" Deklarierten und Deklassierten..

Ein Emder Arzt hat eine 20-seitige Doktorarbeit mit dem Titel "Beitrag zur Frage der Erblichkeit der Asozialität" geschrieben. Er bezog sich dabei auf frühere "Forschungen" über Moordorf und seine Bewohner, die großenteils "erbbiologisch unerwünscht" waren. Die Einwohner von Moordorf (nicht weit von Emden) erlitten vielfältige Verfolgungen im Dritten Reich. Dr. Meinhard B. wurde Hilfsarzt beim Emder Gesundheitsamt und hat nach dem Krieg in der Stadt praktiziert.

Die Schwierigkeit, die einer vollständigen Aufklärung der Geschehnisse bei der Judenverfolgung und -vernichtung nicht nur in Emden entgegensteht, ist die große und begeisterte, weil auch einträgliche Teilnahme "gutbürgerlicher" Kreise der Bevölkerung.

Es war sicher ein begrüßenswerter Anfang, als Claudi & Claudi für ihr Buch 27 Interviews mit überlebenden Juden führten und einen von ihnen eine Geschichte der Emder Juden schreiben ließen. Weitere Untersuchungen hätten folgen müssen, die die andere Seite zeigten: den Antisemitismus in Emden und Ostfriesland, die Einstellung der Bevölkerung während und nach der Nazizeit, die Nutznießer des Unrechts. Der schönfärberische, verschleiernde Titel "Die wir verloren haben", deutete allerdings bereits an, dass es mit der Erzählung der Geschichten der Verfolgten sein Bewenden haben würde. Im Jahre 1988, zur Einweihung des Denkmals der zerstörten Synagoge, schien eine weitergehende Erforschung und eine tiefere Betroffenheit (pdf-Datei) noch möglich.

Dass  hier und anderswo nicht mehr zur Aufklärung geschah, offenbart, wie wenig konkret wir alle immer noch die Erinnerung werden lassen, eine wie  große Rücksicht auf die Täter und Nutznießer wir immer noch nehmen. Es erklärt vielleicht auch, warum im Ostfriesischen Landesmuseum in Emden bis heute als einziges Exponat ein Modell der abgebrannten Synagoge auf das halbe Jahrtausend jüdischer Geschichte in der Stadt verweist.Das ist eine Folge jahrzehntelanger Vernachlässigung bestimmter Themen im Landesmuseum (rund um den Nationalsozialismus z.B.), die zu korrigieren die jetzige Leitung sicher viel Mühe haben wird.

Es ist aber auch sehr schwer, sich vorzustellen, dass beispielsweise Fotos jüdischer Geschäfte gezeigt würden. Es wäre zu befürchten, dass ein denkender Betrachter die unbeantwortete Frage nach den Einzelheiten der "Arisierung" in Emden und Ostfriesland stellen würde.

Für Hamburg gibt es eine Untersuchung über die Arisierung, die von 100 000 arischen Nutznießern spricht: Frank Bajohr "Arisierung" in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933-1945. 2. Aufl. 1998. Der Autor meint: "Nach 1933 leiteten die Nationalsozialisten einen der größten Besitzwechsel der neueren deutschen Geschichte ein." Das trifft sicherlich auch auf die Stadt Emden zu. Nur denkt hier niemand darüber nach.

Einen ersten Anhaltspunkt hierzu kann die Liste für den Judenboykott bilden. Wer hier namentlich am 20.7.1935 in der OTZ aufgeführt wurde, hatte sein Geschäft spätestens vier Jahre später nicht mehr. Der Großteil der Geschäfte befand sich in Emden. (Ich verdanke diesen Hinweis Frau Gesine Janssen, die in der EZ vom 8.9.2007 die OTZ-Seite zur Abbildung gebracht hatte, leider etwas klein, so dass die Namen nicht recht deutlich lesbar waren. Dem wird hier abgeholfen.)

Hier wurde Daniel de Beer angeschossenAn dieser Stelle wurde der jüdische Schlachter Daniel de Beer in der Reichspogromnacht angeschossen. Der Faschismus zeigte ganz offen sein mörderisches Gesicht. Die Verfolgung der Juden begann hier für jeden wahrnehmbar zu werden, auch in der Zeitung wurde der Antisemitismus geschürt. Drei Jahre später begannen die Deportationen.


Eine Frage, die über das Schicksal einzelner jüdischer Emder hinausgeht, ist die nach den vielen Transporten in die Ghettos und in die KZs. Am 25.10.1941 wurden aus Emden 122 Juden in das Ghetto in Lodz (der über 500 Jahre alten Stadt, die die Nazis nach dem General des 1. Weltkriegs und späteren Nazi-Würdenträger Karl L. für nicht ganz vier Jahre Litzmannstadt nannten) eingeliefert. 

In der bereits erwähnten Broschüre "Das Ende der Juden in Ostfriesland" ist auf S. 52 davon die Rede, dass Louis Wolff, der Leiter des jüdischen Altenheims in Emden, und seine Frau "die letzten Emder Juden 1941 nach Varel und 1942 nach Osten...begleiteten."   "Keiner kehrte zurück", sagt die Broschüre.

In seinem Buch "Nie wieder! Die Geschichte des Holocaust" (Propyläen-Verlag, o.J., wahrscheinlich 2001) benennt der Autor Martin Gilbert den 16. Oktober 1941 als den Tag, an dem die ersten Deportationen von Juden in den Osten durchgeführt wurden. Auf einer Karte sind die (meist großen) Städte des Reichs verzeichnet, aus denen Juden in diesem Zusammenhang deportiert wurden. Das kleine Emden ist aber dabei. Die Stadt spielte anscheinend auch hier wieder eine Vorreiterrolle. Emden gehörte zu den erten 12 Städten im Reich, aus denen Juden in den Osten deportiert wurden. 122 Emder Juden wurden neun Tage nach dem Beginn der Deportationen im Reich, die für den 16.10.1941 angegeben sind, in das Ghetto Lodz eingeliefert, wohl auf direktem Wege mit der Bahn.  Am 25.10.1941 kamen die Emder Juden in "Litzmannstadt" an.

Ostfriesische Tageszeitung vom 24.10.1941

In der Ostfriesischen Tageszeitung vom 24.10.1941 wird etwas verschlüsselt bestätigt, dass Emden seit dem vorangegangenen Tage "judenrein" war. Der führende Nazi Dr. Robert Ley kommentierte das in der Zeitung.

Inzwischen haben wir eine amtliche Bestätigung der Juden-Deportation von Emden durch die Gestapo Wilhelmshaven gefunden.

Fassen wir zusammen: In Emden fand der Boykott jüdischer Geschäfte statt, bevor es in Berlin losging. In Emden fand in der Reichspogromnacht ein Mord statt. Emden gehört zu den ersten Städten des Reichs, aus denen Deportationen von Juden in den Osten zur Vernichtung stattfanden.

Die Geschichte der Juden in Emden ging auch kurze Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg weiter, als 1947 viele Juden in der Emder Kaserne interniert waren. Weiteres ist hier zu lesen (mit einem Foto vom Denkmal der Synagoge und mit dem daneben stehenden Schild, das einige Erläuterungen zur Geschichte der Synagoge un der Juden in Emden enthält.)

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