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  Das Jahr 1935
 

 

Januar 35

Am Anfang des Jahres fünfunddreißig steht eine Information: Die Gestapo vermutet zu dieser Zeit etwa noch 35 aktive Mitglieder der KPD in Emden.

Eines davon ist nun doch August Wagner, sein Bruder Karl hat ihn dazu animiert. Dem werden die Parteigelder zu heiß sein, auf denen er sitzt. Selbst wenn man davon ausgehen kann, daß nur Janssen (I) und er selbst von ihrer speziellen Abmachung wissen - und das war Karls Bedingung -, es geht nicht allein um seine persönliche Sicherheit, sondern auch um Parteivermögen. Aber auch Radatz hat Kenntnis von den Geldern, denn er war in der ersten Zeit seiner Entlassung bei Wagner beschäftigt und hat naturgemäß die Aktivitäten beider beobachten und seine Schlüsse daraus ziehen können. Nicht ganz unwahrscheinlich ist jedoch auch, daß Radatz sein neues Hauptquartier gleich hier in Port Arthur im Laden Wagners eingerichtet hatte.

Die ganze Ecke Graf-Johann/Godfried-Bühren-Straße scheint überhaupt das logistische Zentrum der Partei gewesen zu sein. Das wird deutlich, wenn man weiß, daß genau gegenüber dem Kolonialwarenladen Karl Wagners Emil Winkels (Einheitsverband!) wohnte, und einen Stock tiefer unter diesem gleich Gustav Wendt, der während der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre bis zur Machtübernahme Hitlers der bedeutendste Führer der regionalen KPD war. Wendt hatte als Schwager Karls (beider Ehefrauen waren Schwestern) natürlich beste Kontakte sowohl zu Karl als auch zu August - schließlich sogar zu Radatz, der aus diesem Grunde wohl im Ladengeschäft mitarbeitete. Mehr als wahrscheinlich ist, daß der sehr bekannte und damit gefährdete Wendt unter dem Deckmantel der Familienbande die Partei zumindest weiter beraten, wenn nicht gar angeleitet hat.

Es ist klar, daß unter diesen Umständen die Gelder der Partei dem Kaufmann Wagner Sorgen bereiten. Es wäre leicht möglich, daß die Gestapo von den unlängst Verhafteten doch noch eine Aussage die eingesammelten Beiträge betreffend erlangen könnte. Und wenn man erst einmal eine intensive Suche begonnen hätte, könnte der nicht unerhebliche Betrag auch gefunden werden.

Deshalb fragt Karl Wagner seinen Bruder August, ob er nicht die Kasse übernehmen will. Und der erklärt sich einverstanden. Beide machen schließlich ab, daß die Summe - es handelt sich um etwa 250 Reichsmark -, nach und nach abgeholt werden soll. Damit hat August den ersten Schritt in Richtung Partei getan. Der nächste ist, daß er Fegter und Jonny Janssen als Kurier- bezw. Hauptkassierer ausrichten läßt, in Zukunft die Beträge bei ihm abzuliefern. August gibt das Geld einfach auf sein privates Konto bei der Gewerbebank zusammen mit seinem eigenen. So einfach ist das! Im Laufe der nächsten Monate gehen die Teilsummen bei ihm, getarnt wohl als Unterstützungsgelder eines Bruders an den notleidenden anderen.

Fünfzig Mark holt Janssen bei Karl Wagner ab für eine Expedition nach Bremen. Die mit Asendorf ausgearbeitete Schiene soll getestet und gleich dazu eine zusätzliche Kurieradresse bei Strenge in Leer mitgeteilt werden. Als Ausweis dient wieder eine zerrissene Seite aus einer Zeitung. Ursprünglich wollte Groothuis in die Stadt an der Weser fahren, aber ihn überkamen plötzlich Bedenken, sodaß er Körber fragt, ob der bereit sei. Und mit Radatz Segen geht schließlich der Ersatzmann. Ausgerüstet mit den fünfzig Mark, den Erkennungszeichen und einer Adresse für eine Kneipe in Bremen reist Körber ab. Er kommt auch gut an, trifft sich mit Asendorf und Georg Bukendahl an dem ausgemachten Platz und erledigt alles richtig. Nur die Fragen der Vertreter der Bezirksleitung kann er nicht beantworten, da man praktisch eine genaue Analyse der Situation in Emden haben will. Es bleibt nichts anderes übrig, als einen neuen Zeit- und Treffpunkt zu bestimmen, wohin Körber dann einen informierten Genossen geleiten soll. Dieser Ort soll Zwischenahn sein, und der Termin so bald als möglich. Warum ausgerechnet die kleine Stadt zwischen Oldenburg und Leer gewählt wurde, ist unklar, vielleicht, weil Körbers Schwiegereltern dort leben, und die Bremer vielleicht sowieso in diese Gegend wollen.

Es wäre aber auch möglich, daß Asendorf einen der stark gefährdeten Bremer nach Holland schleusen will. Im Januar verschwindet nämlich Heini Schramm über die Grenze. Auf seinen Kopf war bereits ein Preis ausgesetzt und ihm wird mit allen Mitteln nachgestellt.

Die direkten Verbindungen Emdens mit Holland sind jedenfalls da. Angehörige der Familie Staub leben gegenüber auf der anderen Seite der Emsmündung in Delfzijl. Menke Oppenborn, geborene Zandstra, ist eine Schwägerin von Frau Staub, und diese wiederum ist verwandt mit Rikus Zandstra oder Gandstra, der auch in der kleinen niederländischen Hafenstadt ansässig ist.

Gandstra ist ein junger Mann Mitte der Zwanziger und überzeugter Kommunist. Er fährt als Heizer auf einem Binnenschiff häufig in deutschen Kanälen die Route runter ins Ruhrgebiet nach Dortmund und Duisburg. Wahrscheinlich werden Erze und Kohle weiterverfrachtet, die in Emden von Seeschiffen gelöscht werden.

In unregelmäßigen Abständen pendelt Gandstra aber auch zwischen Emden und Delfzijl. Und wenn er im Emder Hafen ist, besucht er gerne seine Verwandte Aaltje Staub, die zusammen mit ihrem Mann ein offenes und gastfreundliches Haus führt.

In Delfzijl sitzt seit einigen Monaten auch ein alter bekannter der Emder Genossen: August Kraak. So nah, und doch so unerreichbar für die Nazis. In Holland besteht seit langem eine Exilantenorganisation der KPD, die aber selbst beim liberalen Nachbarn nur unter teilillegalen Umständen mit der niederländischen KP zusammenarbeitet. Kraak hat unter diesem Dach die Betreuung der grenzüberschreitenden Tätigkeiten der Exilanten in Richtung Emden und Ostfriesland übernommen.

Februar 35

Im Februar jedenfalls treffen August Wagner, der sich häufig bei Staubs aufhält, und Rikus Gandstra zusammen. Bestimmt ist das eine von Kraak geplante Zusammenkunft, der auf diese Weise wieder Einfluß auf den so wichtigen Unterbezirk nehmen will.

Es scheint, daß Rikus und August sich mögen, denn sie veranstalten eine "Bierreise", die standesgemäß bei Scheiwe im "Kap Hoorn" beginnt, wo auch Gandstra gut bekannt ist, und ohne Frage durch etliche Kneipen geht. Spätestens während dieser Sauftour erfährt Wagner alles über "Jampi", wie Kraak in Holland heißt. Und vor allem die politischen Absichten des Emigranten.

Mit Sicherheit geht diese Entwicklung nicht an Radatz vorbei. Der Parteichef hat selber gute Kontakte in die Niederlande über einen Bluhm, der nicht näher vorgestellt wird. Aber auch vermittels der Achsen Bremen-Emden und Bremen-Holland ist Radatz bestimmt an Kraak angebunden. Wenn also August Wagner scheinbar selbständig eine private Verbindung nach Delfzijl aufbaut, bei der die Emder Unterbezirksleitung keine Rolle spielt, so wird das wohl in Zusammenhang mit den Bemühungen Radatz stehen, eine alternative Leitung aufzubauen, jedenfalls nach außen, für die nicht Eingeweihten.

März 35

Die Kontakte über die Reichsgrenzen weiten sich ohnehin immer mehr aus. De Groot bringt wieder Zeitungen und Broschüren nach Emden, und Menno Fischer, ein weiterer Seemann mit Kontakten zur Partei kann im März Heuer nehmen auf der "Theresia C.M.Russ". Die Emder Verteiler haben zutun, die Päckchen an ihre Unterkassierer weiterzugeben

April 35

Anfang April muß deshalb Fegter selber an Bord der "Gottfried-Bühren" kommen, Johannes Gödeken hat keine Zeit. Fegter soll sich mit de Groot in Verbindung setzen und einen Termin im Aussenhafen ausmachen. An Bord erhält Fegter seine Packen Broschüren "Zehn Rezepte für die Hausfrau" und andere und verläßt, Taschen und Strümpfe zum Platzen gefüllt, den Dampfer. Ohne weitere Probleme kann er die Literatur mit nach Hause nehmen.

Im April soll auch endlich der neue Termin mit den Bremern in Zwischenahn sein. Aber wer soll als eingeweihter Funktionär Körber begleiten und die Fragen der Zentrale nach den Interna der Emder Organisation beantworten? Die Wahl fällt überraschend auf Henri Mellendorf, ein Genosse aus Hamburg, weshalb er den Spitznamen "Hamburger" hat.

Mellendorf ist erst seit 1932 Parteimitglied. 1931 war er als Seemann arbeitslos geworden und erhielt nur 10,50 Mark Wohlfahrtsunterstützung, weshalb er Mitte 33 seine Beitragszahlungen einstellte: "Ich wurde aber trotzdem als Mitglied weitergeführt. Ein Zwang zum Zahlen bestand nicht. In erster Linie sollte nur die Verbindung und der Zusammenhalt aufrechterhalten bleiben." Das sagt Mellendorf im Naziverhör. Fast gleichlautende Aussagen machten übrigens viele, die während der Vorbereitungen für die großen Prozesse vernommen wurden. Das stereotype "...nur Verbindung halten..." ist natürlich ein viel geringfügigeres Vergehen als zum Beispiel das Sammeln von Geldern oder gar die Verbreitung von verbotenen Schriften, ganz zu Schweigen von Waffenbesitz, der Spionage für ausländische Organisationen. Aus diesen Aussagen speist sich dann auch wohl die Annahme, die KPD hätte nach 1933 und vor allem später nur noch versucht, die Verbindung der Parteimitglieder untereinander zu halten, ohne sich auf eine echte Auseinandersetzung mit den Nazis einzulassen. Daß die Verhafteten Genossen natürlich das wahre Ausmaß ihrer Arbeit tunlichst zu verschweigen versuchten und sich in Belanglosigkeiten flüchteten, ist nur zu verständlich.

Warum Mellendorf ausgewählt wird, ist unbekannt, vielleicht schickt Radatz wieder ein unbekanntes Gesicht vor, aus den schon erwähnten Gründen. Der "Hamburger" muß aber mit allen hochbrisanten Informationen über die Partei vertraut sein, und damit setzt die Emder Leitung großes Vertrauen in ihn.

Körber muß noch mit Mellendorf zusammengebracht werden, ein Auftrag, den Janssen übernimmt. Und wenn sich Körber und Mellendorf nicht kennen, ist das ein Hinweis auf die strenge Geheimhaltung, die inzwischen eingeführt ist, denn beide gehören doch wohl zum inneren Führungszirkel.

Fünfzig Mark für Bremen als Abgabe müssen auch noch beschafft werden. Von Wagner über Groothuis und Scheiwe erhält Janssen das Geld und übergibt es an die Kuriere, als er sie miteinander bekannt macht. Dann erteilt er den beiden den offizielle Auftrag, nach Zwischenahn zu fahren.

Allerdings sollen sie getrennt reisen, der Sicherheit wegen, und erst am Bahnhof des Ortes wieder zusammentreffen. Körber soll dann die gleichzeitig mit der Bahn eintreffenden und die ihm schon vertrauten Bremer Mellendorf vorstellen.

Was dann aber wirklich geschah, beschreibt Mellendorf so: "Ich fuhr nach Zwischenahn und nachdem ich dort für kurze Zeit spazieren gegangen war, kehrte ich zum Bahnhof zurück. Plötzlich kam der von Emden mitgefahrene junge Mann (Körber/W.) auf mich zu und sagte: 'Es ist dicke Luft! Sofort nach Emden zurückfahren!' Im selben Moment kam auch der Zug, so daß ich sofort verschwinden konnte. Wo der mit mir von Emden gekommene junge Mann geblieben ist, weiß ich nicht..."

Am Bahnhof war eine ältere Frau auf Körber zugegangen, die augenscheinlich dringend auf ihn wartete. Sie wäre schon in Emden gewesen, die Bremer sind hochgegangen. Sie zeigte Körber ein Foto, das dieser aus der Wohnung von Quante kannte, zur Identifizierung. Körber versäumte keine Zeit und warnte sofort Mellendorf. Anschließend sucht er in aller Ruhe seine Schwiegereltern auf und bleibt einige Tage bei ihnen.

Damit aber ist die Verbindung nach Bremen erneut abgerissen. Radatz handelt blitzschnell, als er wahrscheinlich von Quante gewarnt wird. Denn nur dort, wenn nicht sogar gleich bei ihm, konnte die "ältere Frau" gewesen sein und das Foto zur Identifizierung erhalten haben. Er schickt umgehend Groothuis nach Leer, um dort die Funktionäre anzuweisen, keine Kuriere aus Bremen mehr anzunehmen, damit die Emder Partei nicht etwa über diesen Umweg in Gefahr gerät. Gleichzeitig ordnet er an, das Einziehen von Beiträgen einzustellen und Besprechungen nur noch von einer Person zur anderen durchzuführen. Alles muß noch konspirativer werden. Die fünfzig Reichsmark gehen zurück an Wagner.

Dieser Monat sieht noch einen Alois Ziemeck, der aus der Haft freikommt, in die er von acht Monaten eingeliefert wurde. Er gibt die weitere Parteiarbeit auf. Gässler erhält Arbeit beim Hafenbetriebsverein, kann sich aber nicht lange daran erfreuen, er wird kurz danach wegen schweren Diebstahls bestraft. Ein Verfahren wird auch gegen Martschinke eingeleitet, nachdem er in Verdacht geraten war, "Kommunistische Umtriebe" auf einem Seeschiff eingeleitet zu haben. Die Ursache liegt in einigen nicht weiter bekannten Äußerungen, die er dem Schiffseigentümer gegenüber gemacht haben soll. Doch der Seemann hat Glück. Das Verfahren wird aus Mangel an Beweisen eingestellt.

Mai 35

Jonny Janssen wird nun langsam müde. Er ist einer der Männer der ersten Stunde und trägt mit der Kasse eine schwere Verantwortung. Offiziell ist ja auch noch Organisationsleiter, nachdem August Wagner die Übernahme abgelehnt hatte. Als er dann im Mai auf dem Arbeitsamt - es werden wohl doch noch Beiträge übergeben - Harm Giesen trifft, erteilt er dem Unterkassierer den Auftrag, wenn es wieder zu Zahlungen käme, mit Fegter zusammen die Hauptkasse zu führen. Giesen willigt ein, und damit ist Janssen im Grunde seinen Kassenwartsposten los. Er gibt bald darauf auch seine Leitungsfunktion in der Organisation auf und zieht sich schließlich ganz zurück, wohl mit Radatz Billigung.

Groothuis geht einen anderen Weg. Er erhält im Mai nach langer Arbeitslosigkeit wieder einen Job. Damit wird er ohnehin weniger Zeit für die Parteiangelegenheiten haben. Er trifft deshalb auch nicht mehr selbst mit Janssen-Kruse bei Scheiwe zusammen, sondern veranlaßt den Leeraner in Zukunft die Beträge gleich beim Wirt im "Kap Hoorn" abzugeben, von wo er sie dann später, sobald er kann, abholt und Wagner überbringt.

Mitte Mai ist de Groot wieder da, wahrscheinlich auch Richard Gödeken. Jedenfalls erfährt Richard in diesem Monat, daß auch dieser Seefahrtkumpel Schriften mitbringt und an seinen Bruder abliefert. Und noch einmal wird im Monat Mai der Versuch unternommen, einen stabilen Kontakt mit der zentralen Leitung herzustellen, die offenbar jetzt in Delmenhorst angesiedelt und trotz der starken Gefährdung immer noch tätig ist. Das Unternehmen geht diesmal von dort aus. Goldenstedt und Klein machen überraschend einen Besuch bei Heinrich Platte in Leer, unaufgefordert und ohne jede Legitimierung. Die Adresse Plattes ist ihnen durch die Braut von Walter Platte, Emmy Müller, bekannt geworden.

Platte akzeptiert die zwei auch wirklich und sucht mit ihnen zusammen Janssen-Kruse auf. Mit dem Leeraner Leiter verabreden sie, daß JK mit seinem Auto über Bremen nach Delmenhorst kommen soll. Doch ob JK die Männer aus der Zentrale dann noch an Groothuis in Emden weitervermittelt hat, bleibt offen. Und es sieht so aus, als ob diese neuerliche Kontaktaufnahme ohne jede Folgen und weitere Besuche bleibt.

Zwei Gerichtsverhandlungen beginnen noch Ende Mai: Einmal gegen Bokker wegen seines Gesanges am Silvesterabend - er wird zu einer Woche Haft verurteilt, die Strafe aber vorerst ausgesetzt - , und die weit bedeutungsvollere gegen Werno, Lentze und Genossen, zu denen auch die April letzten Jahres festgenommenen Emder zählen.

Mit dem Ende dieser Verhandlungen nach knapp zwei Wochen muß selbst dem letzten KPD-Mitglied klar sein, was die Stunde geschlagen hat. Wer jetzt noch bei der Stange bleibt, kann sich ausrechnen, welche Strafe im Falle einer Verhaftung auf ihn zukommt. Den ehemaligen Kassierer Johann Janssen trifft es unter den Ostfriesen am härtesten mit 2 1/2 Jahren Zuchthaus, die übrigen Emder und Norder kommen mit im Schnitt 1 1/2 Jahren Gefängnis gut weg, teilweise ist ihre Strafe durch die lange Untersuchungshaft schon verbüßt. Aber ihnen konnte im Grunde auch nicht viel nachgewiesen werden, und was sie in der U-Haft erlebten, steht auf einem anderen Blatt. Darüberhinaus kann keiner sicher sein, am Ende auch wirklich entlassen zu werden. Oft genug beginnt gleich anschließend das KZ, wie später Werno und Lentze erfahren müssen.

Trotzdem nehmen immer wieder bisher unbekannte Menschen Parteifunktionen an, in diesem Fall eine Frau Anna Janssen, die Kittner bei seiner Kassierertätigkeit unterstützen will. Selbst die Materialeinfuhr aus Narvik und Stockholm geht unbeeindruckt von der Justiz weiter.

Juni 35/Juli 35

August Wagner rückt jetzt immer mehr in den Mittelpunkt des Emder Parteigeschehens. Nachdem die Bremer in Leer nicht den erhofften Erfolg hatten, taucht im Sommer bei Staubs ein Unbekannter auf, der behauptet, von der Bezirksleitung zu kommen, um den Zusammenhang der Organisation wieder herzustellen. Der Mann nennt sich Hoppe, ist gelernter Schauspieler, zur Zeit aber als Vertreter einer Zeitschriftenagentur unterwegs. Er hat bereits mit Erfolg die Leitungen von Bremen und Bremerhaven zusammengebracht. Aber soviel Details über den Gast erfährt Wagner gar nicht erst. Hoppe teilt eigentlich auch nur mit, daß er weiter nichts soll, als den Besuch eines weiteren Kuriers und Instrukteurs vorzubereiten, der in 14 Tagen kommen und mit Wagner alle Fragen klären will.

Wagner dagegen bleibt mißtrauisch. In Bremen hätte es zu viele Verhaftungen gegeben, meint er, so daß Emden eigentlich keinen Kontakt mit den Genossen dort haben will. Damit trifft Wagner eine im Grunde für Emden weitreichende Entscheidung selbständig und ohne sich mit den anderen abzusprechen. Der Fremde aber läßt sich so leicht nicht beeindrucken. Der Kurier käme in jedem Fall, bedeutet er Wagner, er solle sich alles noch einmal überlegen. Der sieht keine Veranlassung dazu. Als Hoppe fort ist, gibt er Frau Staub die eindeutige Anweisung, im Falle eines Eintreffens des angekündigten Instrukteurs den Mann ohne Kommentar zurückzuweisen.

Als wirklich zwei Wochen später ein Kurier vorspricht, schickt die Genossin ihn auftragsgemäß ohne Anhörung zurück. Das Argument, das die Nazis später zur Erklärung dieses Vorganges einführen, nämlich daß Wagner eigentlich die Verbindung zur Bremer Leitung nicht mehr braucht, weil er längst über Holland einen guten Draht zu zentralen KPD-Stellen hat, ist nicht von der Hand zu weisen.

August 35

Im übrigen gibt es scheinbar auch in der Parteiarbeit so etwas wie ein Sommerloch. Für den August ist nur zu berichten, daß Theodor Buss ehrenamtlich für den NSV tätig wird. Aus welchem Grunde er das tut, wird nicht gesagt. Mittlerweile gehören viele Kommunisten zumindest einer Naziorganisation an, der DAF. Manche wurden mit ihren Berufsgewerkschaften einfach geschluckt, andere traten auch später auch freiwillig bei, weil die Partei die Parole ausgegeben hatte, von innen die Naziverbände aufzuweichen.

Diese Anweisung der zentralen Leitung (die im Ausland immer noch bestand) führte nicht selten zu Irritationen, traten manche Kommunisten doch auch in die SA ein (wenn sie es konnten) und andere tiefbraune Gliederungen. Da das (naturgemäß) immer ohne Wissen der übrigen Parteigenossen geschah, wurde häufig der offenkundige "Verrat" sehr übelgenommen.

September 35

Es ist jetzt September und Radatz heuert auf dem Dampfer "Kronshagen" an und gibt damit die Unterbezirksleitung auf. Nach außen stellt sich dieser für viele sicher überraschende Schritt so dar, als ob der Chef die Nase voll hat und einfach die Klamotten hinschmeißt. In der Anklageschrift gegen Radatz und andere wird es später einfach heißen: "Im September 35 fand der Angeschuldigte Radatz eine Arbeitsstelle auf dem Dampfer 'Kronshagen', der nur Mittelmeerhäfen anlief...". Und weiter: "...Durch den Ausfall des Beschuldigten war die kommunistische Organisation im Unterbezirk Emden führerlos geworden. Die einzelnen Gruppen hielten zwar noch zusammen, (...) eine geregelte illegale Arbeit fand aber nicht mehr statt."

Dieser Annahme kann man kaum folgen. Was bisher über Radatz bekannt wurde, läßt nicht den Schluß zu, er hätte einfach aufhören können. Radatz hat sich immer der Parteiräson unterworfen und alles getan, um die unter seiner Leitung stehenden Parteigenossen erfolgreich zusammen zu schweißen. Daß ausgerechnet dieser Mann ohne jede Zukunftsplanung und Voraussicht seinen Platz räumt, ist nicht vermittelbar. Im Gegenteil sollten die Vorgänge alle durch die Brille einer bewußten Planung gesehen werden. Das heißt: Die Lage ist bedroht durch die ständig sich wiederholenden Verhaftungen in Bremen und anderswo. Und es ist bekannt, daß es Spitzel gab und gibt. In einer solchen Situation ist es sicher das Sinnvollste, neben der "alten" Parteiorganisation eine "neue" zu bilden, die nur die notwendigsten Verstrebungen untereinander haben. Zu der "alten" gehören Groothuis, Janssen und eben auch Radatz und weitere, die "neue" formt sich eben unter der Führung von Wagner. Das Ganze scheint der Versuch, im Falle einer Enttarnung, die voraussichtlich die "alte" Parteiorganisation treffen wird, einen Ersatz zu haben, der ohne Ausfall weitermacht. Das es letztlich bei dem Versuch bleibt, hat andere Gründe (wenn er nicht doch erfolgreich war).

So gibt es zunächst auch keine Hinweise auf ein Nachlassen der Parteitätigkeit, trotz der Ansichten der Gestapo, die es versäumte, eine umfassende Gesamtdarstellung der Emder Verhältnisse zu erarbeiten. Alles läuft weiter wie gehabt. Der Kontakt nach Leer ist beständig, der Schmuggel verbotener Literatur geht weiter, sogar die Beitragskassierung ist wieder aufgenommen worden und wird fortgeführt. Der Emder Einheitsverband arbeitet erfolgreich weiter - auch im Ausland, er trägt unter anderem zur umgekehrten Verbreitung von Nachrichten über die Wirklichkeit in Hitlerdeutschland aus dem Reich in die übrige Welt bei. So werden z.B. Berichte über die Aufrüstung weitergegeben. Wagner hält auch seine Verbindung zu Kraak und nach Holland. Nur über die östlichen und nördlichen Teile Ostfrieslands wird nichts bekannt. Ob sich in Aurich, Norden, Moordorf und den anderen Fehnen der Widerstand noch regt, bleibt ungesagt.

Von Kraak kommt eine seltsame Nachricht, er bräuchte dringend Unterwäsche, die wäre in Holland so teuer, ob Emden nicht welche besorgen könne? Sonst leide er aber keine Not...

Wagner macht daraufhin zehn Reichsmark locker. Frau Staub kauft damit die erforderlichen Wäschestücke, und als Gandstra gelegentlich vorbeikommt, gibt sie ihm ein Paket mit nach Delfzijl. Was von dieser Geschichte zu halten ist, ob sie Wort für Wort der Wahrheit entspricht oder vielleicht nur etwas umschreibt, das, mit allen abgesprochen, unbedingt verborgen bleiben muß - wer weiß es? Kraak jedenfalls kann sich durchaus bemerkbar machen, wenn er etwas will.

Da gibt es noch ein Vorkommnis in diesen Tagen, das zu erwähnen ist: Um die Mitte des September kehrt bei Scheiwe im "Kap Hoorn" eine junge Frau ein und bestellt eine Tasse Kaffee. Als Scheiwe das Getränk bringt, bezahlt sie mit den Worten: "Das Geld ist von Kruse". Sie überreicht ganze sechs Mark. Gleichzeitig achtet sie peinlich darauf, das dieser Vorgang von den anderen Gästen nicht bemerkt wird.

Dieser Gast ist Liselotte Grimpe, eine junge Frau, die in Leer lebt. Ursprünglich kommt sie aus Bremen, wo sie schon 1927 Mitglied des KJV war. Über Emden, wohin ihre Mutter ging, die auch mit der KPD sympathisierte, zogen beide schließlich nach Leer. Mutter Grimpe war in Emden auch bekannt geworden mit Bösch. In Leer lernte sie über eine Familie Nagel, wo ihr Stiefvater Löwenthal verkehrte, Janssen-Kruse kennen. Dieser setzte sie schließlich als Kurier nach Emden ein. Es blieb aber wohl bei dem einen Mal.

Im September erhält dann auch noch Thes Siebelts aus Groß-Midlum neue Arbeit auf den Rheinstahl Nordseewerken; jener Siebelts, bei dem immer noch eine Schreibmaschine versteckt ist.

Oktober 35 - November 35

Anfang November trifft Gödeken "Harry" in Stockholm wieder. Der Seemann weiß wohl nichts von Wagner und so macht der Bericht, den er abliefert, den Emigranten nicht glücklich. Er gibt dem Emder den Auftrag mit, nach seiner Rückkehr alles zu versuchen, die KPD wieder zu reorganisieren. Gödeken erhält eine harzartige Masse, die, wenn man sie in Wasser auflöst, eine Geheimtinte ergibt. Die Schrift sollte erst wieder zum Vorschein kommen, wenn mit blutstillender Watte darüber gewischt würde. So könnte der Seemann "Harry" über alle Bemühungen und Probleme gefahrlos unterrichten. Damit greift unerwartet eine zweite Zentralfigur in das Emder Geschehen ein.

Als Gödekens Schiff wieder in den Emder Hafen einläuft, steht Fegter schon bereit, die neuen Zeitungen abzuholen. In der Kabine kommt es zu einem Gespräch der beiden, in dessen Verlauf Gödeken "Harrys" Vorschläge und Mahnungen weitergibt. Und Fegter ist auch der Meinung, daß etwas passieren muß. Bestimmt fühlt er sich subjektiv ohne Führung, seit Radatz Fortgang, denn Wagner ist noch nicht weiter in Erscheinung getreten. Sie verabreden sich für den Abend bei Scheiwe, um dort die Unterredung weiterzuführen. An Bord ist es mit dem Material nicht sicher.

Im "Kap Hoorn" stößt Mellendorf auf die Genossen, er setzt sich mit an ihren Tisch. Zu dritt beschließen sie dann, am nächsten Tag noch einmal zusammen zu kommen in Mellendorfs Wohnung bei Brünjes. Dazu werden auch Körber und Janssen eingeladen, die wahrscheinlich die am schnellsten Erreichbaren waren. Frau Mellendorf geht während des Treffens ins Kino, für Außenstehende weiß sie nicht, was ihr Mann tut. Bis auf Janssen finden sich alle ein und pflichten Gödekens Zustandsanalyse bei. Demnach ist die Organisation schwach und in Gefahr. Die Konsequenz, die Partei umzubauen und ehemalige, zur Zeit noch inaktive Mitglieder in die Arbeit hineinzuziehen, wird auch von allen geteilt. Fegter erklärt sich spontan bereit, die neue Organisationsleitung zu übernehmen, Giesen wird Hauptkassierer, was er ja schon fast ist. Körber erhält das Amt der politischen Leitung, während Richard Gödeken weiterhin für die Kontakte ins Ausland zuständig bleibt und damit auch wohl ausgelastet ist. Bleibt noch Mellendorf. Es gibt keinen Hinweis auf die Übernahme irgendeines verantwortlichen Bereiches, und jede gedankliche Verbindung zum Beispiel mit dem Einheitsverband oder einer Kurierfunktion nach Bremen ist reine Spekulation.

Aber auch so ist die Neuordnung der Partei in den Augen der Beteiligten gelungen. Am Ende probiert Gödeken die Geheimschrift aus und schickt noch am selben Tage eine Bericht über die Sitzung an "Harry", jedoch nicht nach Stockholm, sondern nach Oxelösund. Dieser schwedische Hafen wird das nächste Ziel der "Johann Wessels" sein, und die Wichtigkeit des Emder Geschehens für "Harry" wird deutlich, weil auch er in diesen Hafen kommt, um Gödeken zu treffen.

Richard Gödeken in Leningrad

Der Emigrant verspätet sich aber. Gödeken wird ein Brief an Bord gebracht mit der Bitte um eine Terminverschiebung für einige Stunden. Am Abend erscheint "Harry" dann in der Nähe des Liegeplatzes und macht durch Zeichen auf sich aufmerksam. Zunächst gibt es erst einmal Vorwürfe für den Seemann. Es wäre überaus leichtsinnig gewesen, mit so Vielen eine Sitzung abzuhalten. In Zukunft dürften höchstens drei Personen auf einmal zusammenkommen. Um die Emder nachhaltig über konspirative Arbeit zu unterrichten, will deshalb die Leitung der KPD einen Instrukteur schicken, der die Lage prüfen und das Weitere veranlassen soll.

Gödeken erscheint das so ohne weiteres nicht durchführbar, weil ihm keine sichere Unterkunft für einen Besucher einfällt; es sei denn, der Fremde käme mit offiziellen Papieren. Dann wäre es möglich, ihn in einer Wirtschaft oder einem Hotel unterzubringen. Auf jeden Fall verspricht der Emder, bis zum nächsten Treffen mit "Harry" die Frage der Unterkunft zu klären.

Es kommt dann noch zu einem persönlichen Gespräch zwischen den beiden. Er lebe in sehr kümmerlichen Verhältnissen, erzählt der Emigrant, Bargeld bekäme er so gut wie gar nicht in die Hände. Zum Mittagessen müsse er bestimmte Häuser aufsuchen und insgesamt wäre auch bei den übrigen Emigranten eine gewisse Untätigkeit eingetreten. Dann wird er noch einmal politisch: In Brüssel habe deswegen eine zentrale Sitzung stattgefunden mit dem Ergebnis einer Umbesetzung der Leitung. In Zukunft würde es weniger Material geben, die Ergebnisse des Schrifteneinsatzes wären zu gering gewesen. Am Schluß der Aussprache erhält Gödeken doch noch Broschüren, Exemplare des "Weltkongreß des Exekutivkomitee" erster Teil.

Dezember 35

Im Dezember fällt Fegter aus, er wird krank. Er muß deshalb dem frischgebackenen Hauptkassierer mitteilen, wohin die Gelder fließen, die auch Giesen bis jetzt an ihn weitergegeben hat. So erfährt Giesen von Wagners Tun. Wahrscheinlich kommt es schon bald zu einem Treffen der beiden. Spätestens jetzt hat wohl Wagner seine "Maske" fallen gelassen und Giesen über seinen von Kraak und von Radatz legitimierten Führungsanspruch unterrichtet. Ob Wagner seinerseits um die zweite Gruppe um Gödeken weiß, ist nicht sicher. Auch nicht, ob Wagner noch im alten Jahr mit ihr zusammentrifft. Das neue Jahr 1936 jedenfalls sieht Wagner schon an der Spitze der Emder Partei.