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  Das Jahr 1934
 

 

Januar 34

Das neue Jahre beginnt ruhig, soweit von Ruhe zu sprechen ist. Die Emder fallen nicht weiter auf, ihre Arbeit scheint gut getarnt und beschränkt sich auf die Vorbereitung neuer Aufgaben. Sogar Radatz, der zur Zeit nacheinander in den KZ-Lagern Ochtumsand und Langenlütjen sitzt, knüpft Kontakte, die sich später auswirken sollen. Er lernt Friedrich Asendorf kennen, und als dieser im Januar entlassen wird, verspricht er Radatz, die Verbindung aufrecht zu erhalten. Kraak in Emden sucht schon wieder einen neuen Kurierkassierer, auch Jentzsch muß nach Wiesmoor zur Arbeit. Es ist nicht bekannt, wer ihn ersetzt. Möglich, daß Kraak langsam überhaupt Personalprobleme kriegt.

Februar 34

Dafür gelingt ihm im Februar ein besonderer Coup: Er gewinnt den aktiven Seemann Richard Gödeken für die Parteiarbeit. Gödeken fährt auf der "Johann Wessels" der Atlas-Reederei. Er ist eigentlich kein "gelernter" Seemann, sondern hat eine Ausbildung als Maurer hinter sich, ein Beruf, der ihm aber nicht behagt. Als in Emden im Jahre 1927 ein Bauarbeiterstreik begann, ging er als Geselle nach Bremen, wo ihn Kollegen überzeugen konnten, in die KPD einzutreten. Mit Beginn der großen Arbeitslosigkeit Ende der zwanziger Jahre entschloß er sich, zur See zu gehen. Er heuerte als Kochsjunge auf der "Erika Fritzen" an, verlor jedoch 1931 wieder den Job, weil das Schiff aufgelegt wurde. Zu der Zeit war er schon Kassierer der Partei in Emden. Seit er auf der "Johann Wessels" fährt, ist er innerhalb eines Jahres zum Steward aufgestiegen. Natürlich ist auch er Mitglied im Einheitsverband.

Richard Gödeken

Drei auswärtige Ereignisse haben auch Bedeutung für Emden. Am 6.2. wird Werno verhaftet und am 21.2. verurteilt ein Nazigericht Pfarr zu zwei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus. Zu wieviel Dank die Ostfriesen Pfarr verpflichtet sind, ergibt sich aus seinem Auftritt vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht während des Prozesses gegen Werno und Andere. Die "Bremer Zeitung" vom 5.6.34 schreibt dazu, daß "...Pfarr sein Gedächtnis verlegt hatte, seine Vernehmung wurde ergebnislos abgebrochen". Und selbst "...die Drohung, man würde Mittel und Wege finden", um sein Schweigen zu brechen, die Androhung einer "Haft nach der Haft" konnte diesen starken Mann nicht zu einer Aussage bewegen.

In Leer sind die Genossen mittlerweile als Fluchthelfer bekannt. Als Beispiel für eine gelungene Aktion soll der illegale Grenzübertritt eines Flüchtlings aus Recklinghausen erwähnt werden, der unangemeldet bei dem Papenburger Arbeiter und Parteimitglied Johannes Rinneberg vorspricht. Rinneberg schickt den Fremden weiter zu Paul Groothuis nach Völlenerfehn, der den Mann auf seinem Motorrad nach Irhofe bringt, von wo aus man mit der Bahn nach Holland gelangen kann. Für seine Mühe erhält Groothuis 50 Pfennige. Am Abend erscheint der Fremde jedoch erneut: Er sei an der Grenze zurückgewiesen worden, müsse aber unbedingt auf dem schnellsten Wege hinüber. Paul Groothuis bringt ihn nun zu Terveer. Der kennt auch wirklich einen Schleichweg, einen Kuhpfad, der hinter Neuenreede in die Niederlande führt. Emden ist an dieser Aktion aber mit großer Wahrscheinlichkeit nicht beteiligt.

Im selben Monat noch ist Richard Gödeken in Stockholm, bestimmt nicht zum ersten Mal. Doch jetzt erhält er Besuch an Bord seines Schiffes. Entweder über die Schiene Bremen-Hamburg-Auslandsorganisation der Partei in Schweden oder über Holland-Rotterdam-Amsterdam hat Kraak dafür gesorgt, daß ein deutscher Emigrant mit dem Decknamen "Harry" mit Gödeken Kontakt aufnimmt. Viel wird über "Harry" später nicht bekannt, nur, daß er vor Zeiten Funktionär des Einheitsverbandes in Bremen war.

Zunächst geht "Harry" mit dem Emder Seemann einen Kaffee trinken, befragt ihn über den Stand der Organisation und kommt dann zum Kern. Er habe die Aufgabe, mit Matrosen auf den in Stockholm einlaufenden deutschen Schiffen Beziehungen anzuknüpfen und durch sie Material in die Heimat schaffen zu lassen. Gödeken ist sicher nicht überrascht. Er soll auch vorerst keine Schriften mitnehmen, sondern erst in Emden für eine reibungslose Abnahme und anschließende Verteilung sorgen.

Eine Fahrt nach Schweden und zurück dauert nur wenige Tage, selbst mit den Hafenliegezeiten. So kommt Gödeken schon bald wieder mit Kraak zusammen und der weist ihn an, alles Material, das "Harry" ihm übergibt, in Empfang zu nehmen und anschließend persönlich bei ihm in Emden abzuliefern.

März 34

Zwei Wochen nach seinem ersten Treffen ist Gödeken wieder in Stockholm. Diesmal kommt "Harry" nicht an Bord, aus einsichtigen Gründen, denn es gibt auch faschistisch eingestellte Seeleute. Gödeken erhält durch einen Schweden Mitteilung, er solle zum "Slissen", einem Hauptverkehrspunkt in der Stadt kommen. "Harry" wartet schon, als Gödeken eintrifft, und während eines Spaziergangs mit anschließendem Kaffeetrinken macht "Harry" Gödeken mit seiner zukünftigen konspirativen Arbeit vertraut. Der Seemann wird ermahnt, daß er immer nur mit einer weiteren Person, also Kraak, Kontakt haben dürfe, daß einer nur den anderen kennen solle. Gödeken seinerseits unterrichtet den Emigranten über Emdens politische Arbeit und was Kraak ihm vermutlich sonst noch aufgetragen hat. Am Ende machen beide einen Treff am Abend in der Nähe der "Johann Wessels" aus, wohin "Harry" schließlich einen Packen Material bringt, den Gödeken an Bord schafft. Einiges davon ist speziell für den Einheitsverband bestimmt, und bevor sich beide trennen, weist "Harry" den beladenen Gödeken an, jedesmal, wenn das Material abgeliefert ist, eine Postkarte an eine Deckanschrift, an "Lissy Lundahl, Sagasregatan, Stockholm" zu senden. Und jedesmal nach einer erneuten Ankunft des Schiffes in Schweden solle der Emder am zweiten oder dritten Abend am "Slissen" sein, wo ihn "Harry" erneut treffen würde. Damit schippert Gödeken zurück.

Der Erfolg der Stockholm-Connection ist bald zu spüren. Über Kerbs als Kassierer, der inzwischen in einer der Zentralen der Partei Wohnung gefunden hat, nämlich bei Brandes, finden die Zeitungen, Bücher und sonstigen Schriften schnell Eingang in die Parteigliederungen. Jeder Unterkassierer erhält soviel er Leute hat. Der neugierige Groothuis fragt einmal Kerbs, wo er denn die Literatur her habe. "Danach mußt Du nicht fragen", ist die lapidare Antwort. Für diese Schriften kassiert die Partei übrigens Lesegelder; Mittel, die sie auch dringend braucht. Nicht nur Emder Funktionäre und weitere Auslagen müssen finanziert werden, sondern größere Beträge wandern auch regelmäßig über den Kurier Janssen oder andere Wege zur Zentrale nach Bremen. Zehn Pfennige pro Stück hat beispielsweise Fräulein Byrds an Groothuis zu zahlen. Und wenn die Zeitung gelesen ist, kommt sie über den jeweiligen Verteiler wieder zurück zu Kerbs, um neu vergeben zu werden. Es sei denn, sie dient als Heizmaterial. Die Frau von Janssen hat einmal eine Zeitung in den Ofen gesteckt, weil beide Meinungsverschiedenheiten über seine politische Arbeit hatten.

Neue Verstärkung erhält Kraak Mitte März, als das Parteimitglied Bösch aus dem Gefängnis entlassen wird, der allerdings nicht aus politischen Gründen, sondern wegen profanen Diebstahls ein Jahr absitzen mußte. An dieser Stelle vielleicht ein Wort zum Vorleben der Emder Genossen, die zu einem nicht geringen Teil Vorstrafen auf dem Kerbholz hatten für Eigentumsdelikte, Körperverletzungen und andere durchaus kriminelle Vorgänge. Es ist nur nie zu vergessen, daß diese Menschen fast ausschließlich zum ärmeren Teil der deutschen Bevölkerung gehörten, deren Not besonders in Zeiten der Inflation und Arbeitslosigkeit manchmal so groß wurde, daß ihnen keine anderen Auswege blieben, als gegen (oft auch ungerechte) Gesetze zu verstoßen.

Obwohl über Böschs Vorleben sonst weiter keine Informationen vorliegen, besitzt er aber wohl das Vertrauen Kraaks, was vermuten läßt, daß er als Kommunist in Emden kein Unbekannter ist.

Groothuis erhält Ende März von Kraak die dringende Anweisung, endlich die Verbindung nach Leer und Papenburg wieder aufzunehmen. Mit der letzteren Stadt sollte das inzwischen problemlos gelingen, denn Groothuis Vater ist seit Anfang des Jahres wieder aus der "Schutzhaft" zurück. Deshalb besucht der Emder seine Familie und bestellt gleichzeitig Rinneberg nach Völlenerfehn. Rinneberg kommt auch, hat jedoch Bedenken, selbständig und nur mit Lesematerial aus Emden unterstützt in Papenburg die Partei zu reaktivieren - und vor allem auch wieder zu kassieren. Doch es gelingt Groothuis, den Genossen von der Notwendigkeit dieses Auftrages zu überzeugen -Parteiräson ist Parteiräson- und mit etlichen Schriften bestückt fährt Rinneberg in seine Heimatstadt zurück.

Unklar bleibt Groothuis Vorgehen mit Leer. Aber irgendwie erreicht er schließlich, daß noch in den letzten Märztagen ein von Strenge beauftragter Kurier bei ihm erscheint. Dieser Kurier ist kein anderer als Janssen-Kruse, und er überbringt auch die abzuführenden Beiträge der Leeraner. Groothuis dagegen kennt Janssen-Kruse nicht persönlich, er verhält sich vorsichtig, und als der Fremde auch noch eingehend nach der politischen Lage fragt, wird er mißtrauisch, gibt ausweichende Auskünfte und wimmelt den angeblichen Kurier schließlich ab. JK bleibt nichts anderes übrig, als ohne Ergebnis nach Leer zurück zu fahren und im übrigen Strenge zu bitten, die Sache zu klären. Strenge muß letztendlich trotz seiner knappen Zeit selbst bei Groothuis in Emden vorsprechen. Und erst als er die unbedingte Zuverlässigkeit JKs beteuert hat, ist Groothuis bereit, mit JK zusammenzuarbeiten.

Groothuis sucht nun seinerseits die Genossen in Leer auf. JK ist einverstanden, nicht nur die Kassierung an Strenges statt zu übernehmen, sondern auch die gesamte Organisationsleitung. Er verspricht, sein "...Möglichstes (zu) tun, um wieder Mitglieder auf die Beine zu bringen und einen Apparat zu schaffen, der wieder lebensfähig ist". Darüber hinaus vereinbaren sie, Kruses Auto zu nutzen und sich alle sechs Wochen auf eine Karte hin im Emder Stadtpark zwischen 10 und elf Uhr zur Übergabe von Anweisungen und der kassierten Gelder zu treffen. Der Inhalt der Karte lautete stets: "Habe letzte Sendung Krusol-Möbelpolitur abgeschickt. Eintreffe am...". Damit ist Kraaks Auftrag an Groothuis erledigt.

April 34

Von seinem Bruder Paul hatte Groothuis auch einen Bericht über die geglückte Flucht des Recklinghauseners gehört und an seinen Chef weitergegeben. Der Zufall will es, daß Kraak schon wenige Tage danach diese Information nutzen kann.

In Oldenburg wird Anfang April August Bastrup von der Polizei festgenommen, aber glücklicherweise wenig später irrtümlich wieder freigelassen. Es ist klar, daß Bastrup diese Chance nutzt. Aus der Wirtschaft eines Parteigenossen heraus telefoniert er unverzüglich mit von Schwichow, der ihn und den Wirt, Emil Hollmann, nachts noch mit einem Auto nach Emden bringt. In der Hafenstadt angekommen läßt Bastrup den Wagen in der Nähe der Wohnung des Ladenbesitzers Heinrich Siemering halten. Siemering ist ebenfalls ein alter Genosse. Bereits seit 1920 in der Partei war er kommunistischer Bürgervorsteher und ist als Anlaufstelle auch der Bezirksleitung bekannt. In seinen Kolonialwarenladen kommen häufig Leute, die mit ihm "reden" wollen.

Es ist gegen ein Uhr, als Bastrup und seine Gefährten bei Siemering läuten und auch eingelassen werden. Bastrup muß nur erklären, daß in Oldenburg "dicke Luft" für ihn sei, der hilfsbereite Siemering nimmt ihn natürlich auf. Schwichow und Hollmann fahren noch in derselben Nacht zurück. Kraak organisiert sofort am nächsten Tag eine Reise nach Völlenerfehn, wo nach dem schon erfolgreichen Muster ein weiterer Verfolgter seinen Häschern entgeht.

Anfang April stellt ein weiterer Kassierer seine Tätigkeit ein, Harms, der für Nesserland arbeitet. Der Grund ist nicht bekannt. Aber es wäre nicht verwunderlich, wenn mit der Zeit eine langsame Zermürbung ihren Tribut fordert und an den Nerven der illegal Tätigen zehrt. Die Rückkehr von Jentzsch aus Wiesmoor ist auch keine Entlastung, denn er findet sofort Heuer auf der "Odin". Zur Freude von Winkels, der weiteres Bordpersonal für seinen "Einheitsverband" dringend brauchen kann. Er trifft Jentzsch aber nicht persönlich an und schreibt deshalb entgegen allen konspirativen Regeln seine Anweisungen auf und läßt sie dem alten Freund weitervermitteln. Das folgende Geschehen ist bestimmt nicht auf einen solchen Mangel an Vorsicht bei den Emdern zurückzuführen.

Am 20.4. erhält Janssen (II) als Kurier von Kraak den Auftrag, ein Paket mit "Rote Fahne"-Zeitungen, die ursprünglich aus Stockholm gekommen sind, weiter zur Partei nach Oldenburg zu bringen. Die Übergabe sollte am Oldenburger Hauptbahnhof unter Vorzeigen einer bestimmten Zeitung durchgeführt werden, die beide Kuriere in Händen halten sollen. Mit einer Mark Reisegeld von Kraak ausgerüstet fährt Janssen am 21.4. los und liefert das Paket auch richtig ab.

Doch die Übergabe wird beobachtet. Wahrscheinlich schon seit Wochen hat die Gestapo einen Teil der Oldenburger Organisation observiert. Später wird im Zusammenhang mit dem Prozeß gegen "Werno, Lentze und Genossen" bekannt, daß es den Nazis trotz des Schweigens fast aller Verhafteter gelungen war, verschiedene Spuren weiter zu verfolgen und bestimmte Verbindungen mit den Unterbezirken aufzurollen. Diesem Umstand fällt Janssen zum Opfer. Er wird noch am selben Tag in der Wohnung seines Bruders in Oldenburg festgenommen. Auch Moordorf ist betroffen, die ganze Siedlung wird durchsucht und auch der versteckte RFB-Leiter gefunden. Eine Katastrophe für Emden deutet sich an!

Bis sich die Nachricht in Emden herumspricht, sind am 26.4. Kerbs, Loop, Siemering und Jürgens gefangen, in Norden werden Engelmann und Schröder verhaftet. Der letzte Umstand gibt einen Hinweis, daß diese plötzliche Aktion von der Nazipolizei schon einige Zeit vorbereitet gewesen sein muß und nicht in einem direkten Zusammenhang mit Janssens Festnahme steht. Im ganzen Bezirk Nordwest, auch in Wilhelmshaven und Rüstringen werden ganze Gruppen zersprengt.

Deshalb sitzt auch Kraak auf einem Pulverfaß. Er kann nicht wissen, ob es bei der geringen Zahl verhafteter Emder bleibt. Deshalb wagt er nicht, die noch verbliebenen Hauptfunktionäre zusammen zu rufen. Er spricht mit Groothuis, der ihm dringend rät, zu verschwinden. Der Weg ins Ausland über seinen Bruder steht offen. Kraak aber zögert. Er hat viel Energie und Arbeit in den Aufbau der Partei gesteckt und er ist nicht der Mann, der schnell aufgibt. Noch einmal berät er sich mit Groothuis - und muß schließlich einsehen, daß der Freund und Genosse recht hat. Er kann den Emdern mehr schaden als nützen, wenn er bleibt und vielleicht auch gefaßt wird. Denn wie sich Janssen unter einer möglichen Folter verhält und ob er aussagt, ist nicht voraussehbar.

So leitet er einen geordneten Rückzug ein. Ausgerechnet jetzt liegt auch Gödekens Schiff wieder im Hafen, an Bord ist neue Literatur, die herunter muß. Kraak geht das Risiko ein, persönlich auf dem Dampfer zu erscheinen. Er kann aber nur einen Teil der Schriften mitnehmen, soviel ist diesmal eingeschleust worden. Wahrscheinlich spricht er auch mit Gödeken über seine Probleme. Der Seemann sieht, daß Kraak dringend Hilfe braucht und nicht mehr weiß, an wen er sich zuverlässig wenden kann. Gödeken empfiehlt ihm deshalb seinen Bruder Johannes, KPD-Mitglied seit 1929, der bis jetzt noch wenig in Erscheinung getreten ist. Solche Leute braucht Kraak, auch um die Anlandung von Richards mitgebrachtem Material sicher und unauffällig zu gestalten.

Gleichzeitig hat Kraak aus unbekannten Gründen Bösch als seinen Ersatzmann für den Unterbezirksleiter-Posten ins Auge genommen. Da er aber nicht weiß, ob ihn die Polizei schon beobachtet, spricht er Bösch nicht direkt an, sondern bittet die mit beiden bekannte Marie Loop ein Treffen zu vermitteln. Frau Loop bringt schließlich beide in der Emder Auktionshalle zusammen. Hier erklärt Kraak Bösch die komplizierte Lage, die durch die Verhaftungen entstanden ist, und bestimmt ihn zu seinem Nachfolger. Außerdem hat er eine Liste(!) mit Ersatzleuten dabei, die so schnell wie möglich auf die unbesetzten Posten der Festgenommenen nachrücken sollen. Emil Winkels wird danach Organisationsleiter, Johannes Gödeken Hauptkassierer, Lüitjen Janssen politischer Leiter, Johann Janssen (I) Kurierkassierer und Fegter Verbindungsmann zwischen den einzelnen Funktionären. Dabei hat Kraak nicht mit allen sprechen können, einige wissen noch gar nicht, was auf sie zukommt. Aber wieder einmal beweist sich die straffe Organisation der Kommunisten selbst unter gefährlichsten Bedingungen.

Johannes und Richard Gödeken in Nordhorn?

An Johannes Gödeken kann Kraak sich noch persönlich wenden, er sagt ihm wörtlich: "Jetzt mußt Du die Hauptkassierung in Emden in die Hände nehmen. Wende Dich an Otto Bösch, der wird Dir nähere Aufklärung geben." Dann geht er mit Paul Groothuis Hilfe über die holländische Grenze.

Mai 34

Böschs schnell erstellte Planungen für die nächste Zukunft sahen ursprünglich vor, nur die Umstellung der Partei durchzuführen und dann sofort wieder vom Leitungsposten zurück zu treten. Er treibt deshalb die Reorganisierung mit Energie vorwärts. Noch bevor Kraak endgültig Emden verlassen hat, setzt er ein Treffen in Brandes Wohnung an, zu dem mindestens Janssen (I) und Körber kommen. Entgegen der Anordnung seines Vorgängers bestimmt Bösch jedoch Johann Janssen, der von seinen Freunden "Jonny" genannt wird, zum Hauptkassierer. Es bleibt offen, welche Aufgabe Johannes Gödeken nun erhält, wahrscheinlich soll er zukünftig der Kurierkassierer sein.

Am darauffolgenden Sonntag machen Bösch und der neue Kassenwart Antrittsbesuche in den Stadtteilen bei den Unterkassierern. Sie treffen Kittner in Friesland, Harms, der nun doch noch weitermacht und Winkels in Nesserland, Buss in Hochsee, Körber in Barenburg und Willi Berg in seiner Wohnung Boltentorstraße 50 für West. Giesen, Port Arthur sowie Borssum, Hilmarssum und Larrelt werden ausgelassen, vielleicht haben die Genossen keine Zeit, schließlich ist Sonntag. Mit Fegter trifft sich Janssen separat wohl mehr zufällig auf der Straße. Und auf seine Frage, ob er, Fegter, noch Lust habe, für die KPD zu arbeiten, sagt der nach kurzem Zögern zu. Im weiteren wird auf der Rundreise mit allen verabredet, daß die eingesammelten Gelder jeweils am ersten Montag eines jeden Monats am Arbeitsamt übergeben werden sollen. ein logischer Treffpunkt, denn immer noch viele Kollegen sind ohne Arbeit.

Es scheint, als wäre Richard Gödeken auf der "Johann Wessels" vergessen worden. Nachdem Kraak den zweiten Packen der Zeitungen nicht mehr abholen kann und eine neuer Abnehmer noch nicht bestimmt ist, verbrennt Gödeken vorsichtigerweise den Rest. Gleichzeitig schickt er die verabredete Karte an die Deckadresse in Stockholm. Mit einer besonderen Kennzeichnung informiert er zudem "Harry" über die Verhaftungen.

Auch Winkels steckt in einem Dilemma. Wenn er den Organisationsleiter machen soll, kann er sich kaum mehr um den Einheitsverband kümmern. Über einen unbekannten, noch bestehenden Kanal nach Bremen ist es möglich, eine zentrale Figur des Einheitsverbandes, Heini Schramm, nach Emden zu holen. Als der da ist, wird Winkels durch Bösch aus seiner Wohnung geholt, und während eines langen Spazierganges bereden die drei alle Schwierigkeiten. Schramm gelingt es, Bösch von Winkels Wichtigkeit für die Unterorganisation zu überzeugen und lässt den Funktionär von der direkten Parteiarbeit freistellen.

Denn der Verband selber soll neu geordnet werden und Emden dabei eine tragende Rolle für den ganzen nordwestdeutschen Bereich übernehmen. Schramm macht Winkels Dampf, er erhält die schwere Aufgabe, den Aufbau neuer Bordgruppen zu forcieren. Der Bremer will bald wieder in Emden sein und dann auch Material für die Bordarbeit mitbringen.

Einer der ersten, die den neuen Wind spüren, ist Jentzsch auf der "Odin". Jentzsch jedoch verweist auf die von den Nazis auf jedem Schiff eingesetzten Obmänner, die ein erfolgreiches Wirken stark behindern. Und während dies Zuhause geschieht, ist Richard Gödeken zum vierten Male in Stockholm. "Harry" ist einigermaßen beunruhigt über die schlechten Nachrichten, die Gödeken mitbringt. Er kann den Seemann, der um seine eigene Sicherheit fürchtet, aber dahingehend beruhigen, daß in jedem schwedischen Hafen jederzeit ein Unterschlüpfen für ihn möglich sei, wenn die Befürchtungen konkret würden. Außerdem könnten die Stockholmer Genossen eine Patenschaft für die Angehörigen der Verhafteten in Emden übernehmen. Zunächst solle Gödeken aber seine illegale Tätigkeit einstellen und nur per Postkarten ihn, "Harry", auf dem Laufenden halten. Gödeken hält sich daran.

Ein letzter Hinweis Kraaks an Bösch bezog sich auf die Existenz einer alten Parteischreibmaschine in Larrelt. Auf Umwegen und mit einigem Zeitaufwand kommt die Maschine nach Emden Und da ist noch ein Abzugsapparat in Leer, von dem Groothuis über Janssen-Kruse erfährt. Die Kombination beider Geräte muß Bösch faszinieren, er sucht mit Groothuis zusammen die Leeraner in ihrer Stadt auf. JK hat etwas übertrieben, denn der Apparat ist reparaturbedürftig und muß überholt werden. Im Grundsatz sind sich alle aber einig und verabreden, den Vervielfältiger abwechselnd in Loga und in Oldersum zu nutzen. Beide Orte gehören organisatorisch zu Leer.

JK hat außerdem noch Kontakte mit Bunde, Weener, Irhofe, Westrhauderfehn, Iheringsfehn und Augustfehn angebahnt. Eine imposante Liste und Bösch ist sicherlich beeindruckt. Auch die Möglichkeiten illegaler Grenzübertritte werden noch einmal angesprochen, damit die Emder auf den neuesten Stand kommen. JK nennt dazu auch Namen: Bluhm aus Bunde und einen Groppe oder Grobbe Ob dann Groothuis oder Bösch auch noch bei Vater Max vorsprechen, ist unklar, aber wahrscheinlich. Denn Groothuis trifft in dieser Zeit ein weiteres Mal Rinneberg und zwei andere Genossen, deren Herkunft nicht bekannt wird, Heinrich Nee und Jacob de Vries.

Juni 34

Böschs Arbeit kommt an. In Emden scheint sich die Lage zu entspannen, wenn auch Fräulein Byrds wegen der Verhaftungen aufhört. Dafür kann Karl Wagner für eine tätige Mitarbeit gewonnen werden. Als Genosse mit hohem Bekanntheitsgrad und damit hohem Gefährdungspotential hatte die Partei ihn zurückgestellt. Er kann jedoch für den Hauptkassierer Janssen (I) äußerst nützlich werden, ohne in direkte Erscheinung treten zu müssen. Für seine sich mehrenden Beitragssummen sucht der Finanzchef einen sicheren und unauffälligen Aufbewahrungsort. Es leuchtet ein, daß er das Geld nicht einfach auf eine Bank geben kann, Wagner dagegen, der als selbständiger Kaufmann ständig mit hohen Beträgen umgeht, kann es unter dem seinen verstecken. Wagner ist einverstanden.

Dabei steht seiner Familie ein trauriges Ereignis ins Haus. Der Vater liegt im Sterben. Deshalb schreibt die Mutter einen Brief an die Behörden, in dem sie bittet, doch ihren Sohn August aus der Haft zu entlassen. Und das Wunder geschieht. Noch rechtzeitig am 19.5. kommt August in Prettin aus dem KZ Lichtenburg frei, um an das Sterbebett seines Vaters zu eilen, der zwei Tage darauf stirbt.

Die folgenden Monate sind schwer für die Wagners. August hat kein großes Interesse an der Politik mehr, zudem er in der Lichtenburg einen Verpflichtungsschein unterschreiben mußte, wonach er sich in Zukunft "jeder staatsfeindlichen Betätigung" zu enthalten hätte. Darüberhinaus ist er ohne Arbeit und hat, jedenfalls für die erste Zeit, kaum Aussichten auf eine Anstellung. Er kann sich jedoch nützlich machen bei alten Freunden, wie den Staubs, Quantes und Brandes und erhält manches in Naturalien für seine Leute.

Auch Radatz kommt am 25.5. raus aus der KZ-Haft und wird wie Wagner vor einer neuerlichen Parteiarbeit gewarnt. Man fragte ihn dabei, ob er sich im Lager von der Richtigkeit des Nationalsozialismus überzeugt hätte, worauf er antwortet: "Das, was ich bis jetzt im Lager gesehen habe, hat mich nicht überzeugt, aber ich will ehrlich versuchen, mich weiter davon überzeugen zu lassen." Er gab sein Ehrenwort, sich bis Oktober 1934 (Das ist Radatz Interpretation der Geschichte) nicht mehr politisch zu betätigen. Trotzdem verliert er seine deutsche Staatsbürgerschaft, denn er ist als Danziger erst 1923 eingebürgert worden. Bevor er jedoch nach Emden zurückkehrt, besucht er wie versprochen Freund Asendorf in dessen Heimatort.

Da wird Bösch überraschend festgenommen! Und wiederum nicht aus politischen Gründen, sondern weil anläßlich einer Haussuchung Diebeswerkzeug gefunden wird. Die Verhaftung erfolgt so plötzlich, daß er keinerlei Möglichkeit hat, irgendetwas die Partei betreffend zu regeln. Wieder ist die gesamte Organisation in Emden in höchster Gefahr. Groothuis und Janssen (I) versuchen zu retten, was zu retten ist. Der eine, weil er als Hauptkassierer die Verbindungen innerhalb der Stadt hat, der andere, weil er die auswärtigen kennt. Und sie haben das Glück, daß die Polizei die politische Tätigkeit Böschs nicht entdeckt, und auch er selber nichts verrät.

Es kommt aber zu einem seltsamen Durcheinander in den Kompetenzbereichen in der Partei. Es ist nicht mehr auszumachen, ob Janssen (I) oder Johannes Gödeken die Hauptkassierung inne hat, ob Lüitjen Janssen seine zugedachte Rolle als politischer Leiter spielt und was Fegter, der eigentlich Verbindungsmann sein soll, tut. Ein Chaos, das vielleicht aber auch gewollt ist; für den Fall, daß Bösch doch redet. Später jedenfalls wird dieses Durcheinander der Gestapo große Schwierigkeiten bereiten.

Konsequenzen hat die Bösch-Festnahme aber natürlich doch. Groothuis trifft sich mit Janssen-Kruse nicht mehr im Stadtgarten, sondern bestellt in zu Scheiwe. Da die regelmäßige "Krusol"-Nachricht auf die Dauer zu auffällig ist, soll die Zusammenkunft regelmässig am ersten Donnerstag eines jeden Monats im "Kap Hoorn" sein. Winkels kassiert nicht mehr für die Partei, der Einheitsverband nimmt ihn ganz in Anspruch. Jentzsch stellt jetzt auch, Winkels folgend, seine Tätigkeit für die KPD ein und arbeitet nur noch für die Seeleuteorganisation. Und das ist durchaus sinnvoll, weil er mit seinem Schiff ohnehin zu selten in Emden anlegt. Andere Unterorganisationen der KPD gehen dagegen mehr und mehr in der allgemeinen Parteiarbeit auf, wie zum Beispiel die "Rote Hilfe". Es gibt nicht mehr genügend erfahrene Kader, um alle Bereiche abdecken zu können. In Hochsee hört Buss auf, Geld einzusammeln, während auf Friesland Kittner Anna Janssen für eine Tätigkeit als Kassiererin gewinnen kann. Es ist jetzt Ende Juni, die Genossen treten kürzer.

Juli 34 - August 34

Im August erhalten Simon und Strauß richtige Arbeit, Broterwerb, Simon in der Brikettfabrik und Strauß beim Hafenbetriebsverein. Auch das schwächt die Partei, so paradox es klingt. Sonst wird nichts bekannt in den nächsten zwei Monaten, und das hängt auch wohl mit der "Kopflosigkeit" der Emder zusammen.

September 34 - Oktober 34

Erst im Oktober findet sich ein neuer Leiter, doch eigentlich ist es ein alter, denn Radatz steigt wieder in den Ring. Er hielt es für richtig, die Zusage seiner bis Oktober befristeten Nichtbetätigung einzuhalten, wenn er auch schon gewisse Kontakte mit alten Freunden anknüpfte. Nun aber wird er wieder aktiv und zieht die Leitung des Unterbezirkes an sich. Ein erstes Treffen mit Groothuis, Janssen (I) und Körber unterrichtet ihn über den Stand der Dinge.

Radatz sieht seine vordringlichste Aufgabe in der Stärkung des Zusammenhaltes, der in den letzten Wochen und Monaten durch die Umstände doch gelitten hat. Großen Wert legt er aber auch auf die Wiederherstellung der Verbindung mit der Bezirksleitung in Bremen, die seit der Zerschlagung der zentralen Führung im April abgerissen ist und die er mit Asendorfs Hilfe wieder aufbauen will.

Und da ist noch etwas, das nur Radatz und Karl Wagner wissen und das er jetzt für die Partei nutzbar machen will. Wagner ist im Besitze eines Bootes, das früher der Leitung in Bremen gehört hatte. In der Hansestadt war es gebraucht worden, um Parteiangehörige über die Weser zu bringen. Kurz nach der Machtübernahme war es auf ungeklärtem Wege an Wagner gekommen. Während seiner Freizeit hatte Radatz immer wieder an dem Boot gearbeitet und es überholt. Es liegt in einem Tief neben dem Acker Bergs, der vielleicht als Dritter von den Besitzverhältnissen weiß. Wahrscheinlich plant Radatz damit geheime Reisen nach Holland zu unternehmen.

Der neue/alte Unterbezirksleiter ist dagegen gar nicht zufrieden mit den Ergebnissen in Leer. Als Janssen-Kruse am nächsten Donnerstag bei Scheiwe ankommt, empfängt ihn Groothuis mit Vorwürfen. Die Arbeit in Leer und Umgebung sei nicht effektiv genug, die Organisation würde nicht schnell genug aufgebaut. JK hat aber inzwischen immerhin achtzehn Genossen abzukassieren. Ob er die Beschimpfung einfach schluckt oder mit gleicher Münze zurückzahlt, wird nicht bekannt.

Mitte Oktober kommt Richard Gödeken wieder nach Stockholm. In der Zwischenzeit hatte er "Harry" wie abgesprochen mittels einiger Postkarten über die jeweiligen Umstände in Emden auf dem Laufenden gehalten, die er seinerseits von seinem Bruder erfuhr. Er überbringt "Harry" die Adressen von einigen Familien verhafteter Genossen mit der Bitte, Geld an diese zu überweisen. "Harry" übergibt daraufhin Gödeken getragene Kleidungsstücke, besonders Kinderbekleidung, die er an die notleidenden Angehörigen verteilen soll. Als "Harry" dann noch weitere Zeitungen und Broschüren anbietet, lehnt der Emder Seemann jedoch ab, er empfindet die Lage noch zu unsicher, und er hat auch noch keine Abholer organisieren können.

Dennoch kommt im Oktober frisches Lesematerial in den Emder Hafen hinein. Es sieht so aus, als hätten Winkels Bemühungen einmal mehr Erfolg gehabt: Ein anderer Seemann, Hermann de Groot, schafft sie aus Narvik heran.

De Groot fährt auf der "Gottfried-Bühren" die Norwegen-Route. Eines Mittags hatte sich auf seinem Schiff ein etwa 30-35jähriger Mann bei ihm vorgestellt und ihm eine kommunistische Schrift gezeigt. Dann fragte der Fremde de Groot, ob er früher Mitglied der KPD in Emden gewesen sei und ob er Kommunisten kennen würde, an die er solche Zeitungen abliefern könnte. De Groot mußte das bejahen und vereinbarte schließlich mit dem Mann, daß, wenn er das nächste Mal in Narvik wäre, zwei Schuljungen ihm Schriftenmaterial an Bord bringen würden. Und als er drei Wochen später wirklich wieder in Narvik war, erschienen auch prompt die Jungen und übergaben ihm ein Paket. Darin waren "Rote Fahne"-Zeitungen und getarnte Anti-Hitler-Broschüren mit Titeln wie "Lichtspieltheater" und "Mondamin".

Wahrscheinlich ist das Schriftgut anschließend von Winkels und seinen Mitarbeitern von dem Dampfer abgeholt worden und ebenso wahrscheinlich ist, daß die Arbeit des Einheitsverbandes Früchte trägt. Mit Steffens und dem endlich haftentlassenen Rodewyk sind wieder mehr kompetente Kräfte am Werk. Steffens fährt übrigens auch wieder zur See, und er lässt keine Gelegenheit aus, in Rotterdam oder anderen Häfen die "Interclubs" der ISH aufzusuchen und sich politisch schulen zu lassen. Ob auch er Illegales einschmuggelt, ist nicht bekannt, wenn auch stark zu vermuten.

Als Gödeken wieder in Emden ankommt, muß von seinem Schiff Schmuggelgut anderer Art abgeholt und zunächst irgendwo untergebracht werden. Es sind dies die Kleidungsstücke, die Gödeken persönlich an notleidende Familien in Emden und Moordorf weitergibt.

November 34

Trotz der dringenden Aufforderung Radatz, zusammenzuhalten, kommt es im November zu Zerwürfnissen der Genossen untereinander. Zunächst muß sich Johannes Gödeken wegen eines Hausfriedensbruchs vor Gericht einfinden und wird zu zehn Reichsmark Geldstrafe verurteilt. Für einen Arbeitslosen viel. Quante hat plötzlich Streit mit Brandes und kommt nicht mehr zu den gemeinsamen Parteitreffen, die inzwischen wieder stattfinden. Ob es der ständige Streß ist? Auch Groothuis hat Differenzen mit Brandes, ihn trifft das aber härter, er darf seine Wohnung räumen und überwirft sich deshalb mit dem Exvermieter. Auch er erscheint nicht mehr auf den Sitzungen.

Radatz sieht sicher selbst, daß seine Mitstreiter ermüden und nach und nach frische Kräfte die alten ersetzen sollten. Er weiß, daß letztlich auch seine Tage begrenzt sind. So beginnt er wohl, ganz vorsichtig und langfristig angelegt, eine neue Parteispitze aufzubauen. August Wagner könnte wieder eine stärkere Rolle in der Hafenstadt übernehmen.

Wagner muß sich wie viele ehemalige "Schutz"häftlinge seit seiner Entlassung jeden Abend um 18 Uhr auf der Polizeiwache melden. Da bekommt er sozusagen polizeilich abgesegnete Kontakte mit Menschen, die er eigentlich nicht treffen dürfte. Er erfährt schnell, daß die Partei keineswegs untätig ist, denn untereinander tauschen die alten Genossen auf der Wache Erlebnisse und Neuigkeiten aus. Auf der Straße trifft Wagner auch einmal mit Janssen zusammen, aber der geht zu plump vor und versucht, Wagner den Org.-Leiterposten anzudienen, den er selbst noch inne hat. Der gerade Entlassene weiß jedoch, wie sehr die Polizei ein Auge auf ihn hat und lehnt ab.

Es ist eine Vermutung, aber eine begründbare: Radatz baut Wagner ganz langsam und im Hintergrund auf, ohne das die übrige Partei es wahrnimmt, und als sie es schließlich merkt, ist Wagner in der Position, wie selbstverständlich die Unterbezirksleitung zu übernehmen. Aber noch ist es nicht soweit.

Dezember 34

Der letzte Monat des Jahres 1934 bringt noch einmal Erfolge. In den ersten Dezembertagen ist Richard Gödeken erneut in Stockholm. Diesmal nimmt er wieder Zeitungen mit, denn er hat neue Abholer, seine Brüder Johannes und Hinrich. Als er zurück ist, händigt er das frische Material an sie aus und ermahnt sie im Auftrage "Harrys", äußerst vorsichtig zu sein und die Schriften sobald wie möglich aus dem Haus zu schaffen. Damit enden vorläufig die Berichte über Richard, eine neuerliche Erwähnung findet er erst ein Jahr später im November 1935. Während dieser Zeit wird er aber ständig von Winkels beauftragt werden, spezielle Schriften für den Einheitsverband mitzubringen, was auch wohl geschieht und ein Indiz dafür ist, daß Gödeken in der Zwischenzeit öfter nach Stockholm kommt und sicher nicht nur von "Harry" Schriften erhält.

Weihnachten ist Asendorf in Emden. Auch er hatte die illegale Arbeit schnell wieder aufgenommen und begonnen, für die Bezirksleitung Verbindungen zu den Unterbezirken zu betreuen. Radatz, der bei Quante, seinem wohl besten Freund, Wohnung genommen hat, kann "Fiete" Asendorf bei sich beherbergen.

Als einen der Ersten besuchen beide gemeinsam Groothuis, aber bei dem kann nichts besprochen werden, weil Frau Groothuis da ist. Es ist ja auch Weihnachten. Deshalb schickt Quante am nächsten, dem zweiten Weihnachtsfeiertag seinen zehnjährigen Sohn zu Groothuis rüber und bittet ihn in seine Wohnung. Auch Janssen ist zu dieser Aussprache gekommen. Sie beschließen gemeinsam, wieder eine ständige Verbindung zur Bezirksleitung herzustellen, aber nicht unmittelbar, sondern über Leer. Die Treffen sollen sich so abspielen, daß der Kurier aus Bremen bei Kruse in Leer mit der Hälfte eines Zettels als Ausweis vorspricht und von Kruse dann an eine bestimmte Stelle in Emden weitergeleitet wird. Außerdem vereinbaren sie, daß flüchtende Funktionäre wie gehabt über Leer nach Holland gebracht werden. Janssen schlägt dann noch vor, von den bei Karl Wagner inzwischen angesammelten Geldern Asendorf einen Teil für die Leitung in Bremen mitzugeben. Radatz ist damit einverstanden und veranlaßt Janssen, noch am selben Tag hundert Mark abzuholen, die "Fiete" mitnimmt. Radatz reißt nun aus einer Illustrierten eine Seite mittendurch und gibt die Hälfte auch mit. Damit ist der Kontakt zur Zentrale wieder da.

Ganz zu Schluß noch das: am 31.12. singt Hillrich Bokker in schwer angeschlagenem Zustand in einer Kneipe ein kommunistisches Lied. Wahrscheinlich waren auch Nazis dabei, denn im neuen Jahr wird er angezeigt...