Widerstand in Emden 1933-1945

Emdens Zukunft steht und fällt mit dem Hafen. Diese Binsenweisheit kennt jeder Bürger der Stadt. Und aus der Beschäftigung mit der Geschichte wissen viele Emder, welchen Einfluß Ems und Hafen auf die Entwicklung des Ortes hatten. Die Auseinandersetzungen um die Reformation, bei der Herausbildung bürgerlicher Traditionen gegen den Adel, aber auch in der Konkurrenz mit anderen Hafenstädten, haben seit dem Mittelalter die Geschicke Emdens bestimmt und sind gut erforscht.

Der Allgemeinheit weniger bekannt sind dagegen die Zeitläufe seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Kaiserzeit und die "wilden" zwanziger Jahre haben viele "alte Emder" selbst noch erlebt, die Vermittlung der Probleme und Kämpfe dieser Zeiten an jüngere Mitbürger unterblieb aber zumeist. Und das dunkle Kapitel Faschismus ist zwar in einzelnen thematischen Abhandlungen aufgearbeitet und dokumentiert, zusammenfassende Darstellungen des Widerstandes fehlen dagegen fast völlig.

Die Arbeit im Hafen war immer ein hartes Brot, aber wohl dem, der noch einen Arbeitsplatz hatte.

Ein ganz besonderes Stiefkind der wissenschaftlichen Forschung ist dabei die aufopferungsvolle Tätigkeit der Emder Arbeiter und Seeleute gegen Hitler und die Nazis geblieben. Das hat seine Gründe: Die Leute aus dem Hafen und den Betrieben, die sich gegen die braune Herrschaft stemmten, waren nicht selten Kommunisten. Sie entstammten zumeist den unteren Schichten, trugen ihre Auseinandersetzungen häufig mit Gewalt aus, bettelten und stahlen aus Not und waren deshalb manchmal sogar vorbestraft - ein Umstand, der die besser situierten Bürger abschreckte und bis heute abschreckt.

Wer sich aber mit den Einzelschicksalen dieser Antifaschisten beschäftigt, erkennt bald, daß Armut und harte Arbeit die Menschen formte und sich hinter der groben Fassade meist ein ganz anderes Wesen befand.

Diese Lücke zu füllen hat sich die "Ubbo-Emmius-Gesellschaft" zur Aufgabe gemacht.

Die KPD demonstriert in Emden

"Die rote Stadt am Meer", so wurde Emden damals vor dem verhängnisvollen Jahr 1933 genannt. Und wirklich war der Einfluß der Linken mit SPD und Gewerkschaften, selbst der KPD, groß. So groß, daß in die von Arbeitern bewohnten Stadtteile die Faschisten keinen Fuß zu setzen wagten. Die Stärke der Kommunisten resultierte aus den Auseinandersetzungen mit Arbeitgebern und um die Versorgung der notleidendenden Arbeitslosen gegen Ende der zwanziger Jahre.

Ein Beispiel dafür ist der Streik Emder Seeleute im russischen Odessa, aber auch in anderen Hafenstädten für die Rücknahme von angeordneten Verschlechterungen in Heuer und Arbeitszeit. Dieser Streik machte seinerzeit Schlagzeilen in ganz Deutschland. Und gute Verbindungen über den Dollart nach Holland erweiterten den internationalen Spielraum der örtlichen KP und gegenseitige Besuche und Hilfestellungen waren an der Tagesordnung.

Doch trotz aller Stärke und Kampfbereitschaft konnten die Emder den Faschismus nicht verhindern. Noch am Vorabend der Machtübernahme durch Hitler fand eine Kundgebung der KP auf dem Neuen Markt statt, wo die Warnung "Hitler bedeutet Krieg" besonders deutlich ausgesprochen wurde - eine Warnung, deren Bedeutung erst zwölf Jahre später mit letzter Konsequenz klar wurde. Nicht lange danach war alle politische Opposition verboten und mit Haft und Tod bedroht.

Die bekannten Köpfe der KPD, der Sozialdemokraten und Gewerkschafter verschwanden als erste in Lagern und Gefängnissen, wenig später folgten alle, die noch offen aufzubegehren wagten. Und während die SPD auf eine baldmögliche Weiterführung der Auseinandersetzung mit legalen Mitteln hoffte, ging die übrige Emder Linke in die Illegalität und führte den Kampf im Verborgenen weiter.

Der Emder Hafen und Europa 1933-45

Wenn eingangs die besondere Bedeutung des Hafens erwähnt wurde: jetzt entfaltete sich über Hafen, Ems und Dollart der Widerstand gegen Hitler mit Hilfe der Seefahrer und Hafenarbeiter europaweit. Europaweit! Alle mit Hafenarbeit und Schifffahrt verbundenden Kommunisten hatten sich schon vor Jahren zu einer eigenen linken Gewerkschaft, dem "Einheitsverband", zusammengefunden. Und mit Hilfe dieses Verbandes und den linken Gruppierungen im Ausland gelang es in kurzer Zeit, den Widerstand gegen die Nazis zu organisieren.

Emigranten und Flüchtlinge aus Deutschland, die zumeist mit offenen Armen von ihren Gesinnungsgenossen in den angrenzenden europäischen Ländern, vor allem in Belgien, den Niederlanden, Frankreich, aber auch in Skandinavien, den östlichen Staaten, vor allem Rußland aufgenommen wurden, bildeten schnell "Außenposten", die die Männer auf den Emder Schiffen nutzen konnten.

Gerade Holland spielte für den Emder Widerstand eine bedeutende Rolle. Über die Ems wurden hunderte Flüchtlinge -nicht nur Kommunisten- vor den faschistischen Mördern in Sicherheit gebracht. Ein ständiger Zufluß von Flugblättern und Zeitschriften von Delfzijl über Leer und Emden versuchte sich der Nazipropaganda entgegenzustellen, wurde bis nach Oldenburg und Bremen gelenkt. Auch in der Hafenstadt selbst arbeiteten anfangs noch verborgene Druckereien, waren aber schon bald ausgemacht und ausgehoben.

Deshalb war die Einfuhr von Druckerzeugnissen und anderen Versorgungsgütern wie Kleidung, manchmal sogar Geld so wichtig. Denn viele "rote" Familien waren mit der Verhaftung von Hitlergegnern in tiefe Armut gestürzt, weil der Ernährer fehlte. In Moordorf und Umgebung z.B. verschwanden Anfang 1934 Dutzende Menschen, weil sie es gewagt hatten, ihre linke Organisation weiterzuführen und einen hochrangigen Bremer Funktionär versteckten. Da war große Not, aber die Solidarität der Osloer mit den deutschen Opfern brachte über eine Sammlung Hilfe zur Linderung wenigstens der gröbsten Bedürfnisse. Ein Seemann aus Emden namens Gödeken brachte Geld und Kleidung auf seinem Dampfer mit. Selbst eine Puppe zum Spielen für ein Mädchen war dabei...

Den Faschisten blieben diese Tätigkeiten natürlich nicht verborgen. Anfang 1934 ging die neue Führung der Emder KPD "hoch", nur dem Kopf gelang die schnelle Flucht nach Holland: August Kraak. Er sorgte von nun an über Groningen und Delfzijl für die Weiterführung des Widerstandes in Ostfriesland. Dabei spielten Binnenschiffer, eine weitere Gliederung des "Einheitsverbandes", die zentrale Rolle. Aus den Niederlanden und über Emden hielten sie Verbindung mit dem Hinterland, dem Ruhrgebiet und dem Rhein.

 

Internationale Verbindungen

 

In vielen anderen europäischen Hafenstädten wie Rotterdam, Amsterdam, Stockholm oder Leningrad bildeten sich nun Komitees aus deutschen Emigranten, die in Zusammenarbeit mit den örtlichen Arbeiterorganisationen und deutschen Schiffsbesatzungen Verbindung ins Reich hielten. Emden spielte dabei eine immer größere Rolle, weil es den Nazis mit Hilfe von Spitzeln und umfangreichen Beobachtungen gelungen war, die größeren Hafenstädte wie Hamburg und Bremen als Anlaufpunkte nahezu auszuschalten.

Wichtig dabei war neben der Materialbeschaffung das Einschmuggeln von Menschen, sogenannten Instrukteuren, die vor Ort Einfluß auf die weitere Entwicklung des Widerstandes zu nehmen versuchten. Von Oslo aus ist mindestens einmal ein solcher Instrukteur nach Emden hereingekommen. Noch 1941, als der Krieg gegen die UdSSR schon begonnen hatte, wurde ein weiterer Funktionär über den Emder Hafen nach Holland und Bremen geschleust.

Nebenher gaben die Seeleute natürlich Nachrichten aus dem deutschen Reich an ihre ausländischen Partner weiter. Zum einen, um in den Druckerzeugnissen immer aktuell argumentieren zu können, aber auch, weil interessierte militärische Kreise Einblick in faschistischen Planungen zu nehmen trachteten. Diese Spionagetätigkeit ging weit über die KP und ihre anderen Organisationen hinaus. Denn auch die SPD hatte mit Hilfe der "Internationalen Transportarbeiter Föderartion (ITF)" Seeleute an sich gebunden, die ganz ähnlich Informationen weitergaben. Einer der Gründe, warum der "Einheitsverband" gegen Ende der dreissiger Jahre mit der ITF verschmolz.

1937/38 wurde in Emden erneut ein Teil der bis dahin gut funktionierenden KP-Widerstandsgruppe aufgerollt, darunter die Führung. Wieder gingen Dutzende Menschen in Zuchthäuser und Konzentrationslager. Etwa ein Jahr zuvor jedoch hatte die illegal arbeitende Partei einen Umbau der Organisation vorgenommen, der die politsche Arbeit noch verdeckter und geheimer machen sollte. Nur deshalb konnte nicht die vollständige Organisation ausgehoben werden.

 

Ernst Radatz an Bord der "Dora Fritzen"

 

Probleme der neueren Forschung

Gleichzeitig macht diese Abschottung und Konspirativität, selbst gegenüber Teilen der eigenen Parteigliederungen, die Durchleuchtung des weiteren Geschehens im Nachhinein äußerst schwierig. (Fast?) alle der direkt daran Beteiligten leben nicht mehr, und es ist wohl auch so, daß sie ohnehin nicht über ihre antifaschistische Arbeit gesprochen hätten.

Es bleiben nur die Archive. Seit nunmehr fast sieben Jahren versuchen die Mitarbeiter der "Ubbo-Emmius-Gesellschaft" Licht in das Dunkel zu bringen. Vieles ist erreicht, wir können zumindest bis 1937 einen guten Überlick über die Entwicklung des Emder Widerstandes gegen den Faschismus bieten. Trotzdem sind noch viele Fragen übrig, vor allem, was von 1938 bis zum Kriegsende 1945 geschah. Denn daß der Kampf weiterging, ist belegt. Doch das genaue Wer, Wie, Was und Wann bleibt zunächst noch offen. Und nur mit der Unterstützung aller interessierten Kreise wird es gelingen, die ganze Geschichte der mutigen Männer und Frauen, ja, selbst mancher Kinder, offenzulegen.

Aus diesem Grunde wendet sich die "Ubbo-Emmius-Gesellschaft" auch an Sie. Besonders ineressiert sind wir natürlich an Zeitzeugen, aber auch an Fotografien und Berichten aus zweiter Hand. Jedes noch so kleine Detail, jede noch so kleine Unterstützung kann helfen, diesen beeindruckenden Teil Emder Geschichte aufzuklären. Nichts und niemand sollte in Vergessenheit geraten, gerade heute, wo der Neofaschismus wieder versucht, die Geschichte in seinem Sinne zu verfälschen.

Hans-Gerd Wendt

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