Klaas Meyer













Klaas Meyer

Das Konzentrationslager Sonnenburg

oder: Wie ich Erich Mühsam traf

Es gibt nicht viele regionale Berichte aus der Zeit des Faschismus über die Verbrechen der Nazis an den von ihnen gefangenen, gefolterten und ermordeten Menschen, die ganz persönliches Erleben schildern. Meist schwiegen die Opfer - auch, weil ihnen unter Druck am Ende einer überlebten KZ-Haft ein Schweigegelöbnis abverlangt wurde, dessen Bruch die sofortige Wiedereinlieferung in die Stätte des Grauens androhte.

Der von Klaas Meyer wohl gleich nach dem Kriege verfasste Text ist eines dieser wenigen trotzdem geschriebenen Dokumente. Die in schneller Schrift mit Bleistift niedergelegten, meist ohne Komma und Punkt in einem Stück aufgesetzten Zeilen zeugen noch heute von Angst und Entsetzen, aber auch von Wut und Trauer.

Leider sind die ersten vier Seiten durch Wasserschaden unleserlich geworden, aber die kurze Vorgeschichte haben wir anhand uns vorliegender Daten rekonstruieren können.

Am 28. Februar 1933 brennt der Reichstag.

Die angeblich Schuldigen machen die Faschisten schnell aus: Kommunisten und andere Linke.

Noch am selben Tag erlässt Reichspräsident Hindenburg auf Veranlassung Hitlers eine Verordnung zum Schutz von Volk und Staat, die den Nazis praktisch freie Hand gibt, gegen ihre Gegner auf der Linken vorzugehen. Schon etwa eine Woche zuvor hatte Göring, der als preußischer  (kommissarischer) Innenminister Befehlsgewalt über die reguläre Polizei hatte, eine sogenannte „preußische Hilfspolizei“ gebildet, die sich fast ausschließlich aus den Reihen der SA rekrutierte.

Diese „Polizei-Hilfstruppen“ schlagen nun  gegen Kommunisten und Sozialdemokraten unbarmherzig zu.

Es ist nicht ganz klar, an welchem Tage in Emden die Verhaftungen begannen, es ist aber anzunehmen, dass erste, hochrangigere Parteiführer der KPD nur kurz nach dem Bekannt werden des Brandes in das Emder Stadtgefängnis eingesperrt wurden. Die SPD-Mitglieder folgten kurz darauf, denn Hitler  wollte noch das Ergebnis der am 5. März stattfindenden Reichstagswahlen abwarten. Trotzdem waren die Zellen bald überfüllt und die Gefangenen wurden in schnell eingerichtete erste KZs abgeschoben. Eines dieser KZs war die Sonnenburg.

Es gibt eine Liste der Verhafteten, erstellt von der "Roten Hilfe". Demnach sind verhaftet:

Frau Zillmann (23.3.), Gesine Klinger, Dini Post (23.3.), Gustav Wendt (23.3.), Klaus Meyer (es handelt sich um Klaas Meyer!/W.) Jan de Vries (23.3.), Reiner Heinks, Reindorf Bruns, Anton Schorra, Wilhelm Anderson, Martin Brinkmann, Ernst Brossart, Dietrich Wiers (sitzt in Moabit), Maria (?) Wilkens, Friedrich Loop (25.3.), Hermann Zech, Heinrich Sommer, (?) Kramer, Ludwig Eiermann, Niklaus Ruyter, Hermann Kahle, August Wagner, Ernst Radatz, Paul Wörtler, Franziska Schlenker (23.3.), Fritz Spannhoff, Theodor Siebolds, Hermann Baumann, Albert Baumann, Gerhard Janssen, Paul Lorbitzki, P. Freese und G. Rabenburg. Die drei letzten sind am 5.5. wieder freigekommen.

(Quelle: R 1501 Bd.8 Bl.3-5 Bundesarchiv Berlin)

In Emden berichtete die „Rhein-Ems-Zeitung“ am 24. März 1933 über den Abtransport der Kommunistinnen Frau Zylmann, Frau Post und Frau Schlenker, die zusammen mit den am gleichen Tag eingelieferten Gustav Wendt und de Vries, sowie Meyer und Bruns zu einem Sammeltransport um 1 Uhr zum Bahnhof gebracht wurden.

Demnach erfolgte der Abtransport von Klaas Meyer aus Emden am 23.3.1933. Es ist aber anzunehmen, dass diesem Transport eine längere oder kürzere Verweildauer  im Gefängnis Emden vorausging, über dessen Umstände wir nichts wissen.

Der Bericht Klaas Meyers beginnt mit der Abfahrt des Transportzuges vom Bahnhof West in Emden...

„Am Bahnhof wartete bereits eine größere Menschenmenge“ (Rhein-Ems-Zeitung v. 24.3.1933) auf die gefangenen Kommunisten aus Emden...

(Anfang Bericht:)

...und Umgebung. Mit Ketten am Handgelenk, welche von den Polizisten nach Belieben gedreht wurden, dass die Knochen knackten, kamen wir zum Transportzug.

Auf dem Bahnsteig hatten sich allerhand SA-Leute eingefunden, die uns schon angrölten. Am Schlimmsten war eine Frau, die sich nicht genug (aufregen)  konnte, (unleserlich) „Heil Hitler“ zu rufen. Einige von uns wurden von dieser „Hitlerike“ angespuckt, und als sich der Zug in Bewegung setzte, lief sie gerade an unserem Gitterfenster vorbei - da habe ich ihr voll Hass und Wut ins Gesicht gespuckt.

Unser Ziel kam in Sicht: Sonnenburg. Ich konnte das Zuchthaus (sehen), eine schöne Fassade, aber drinnen die Hölle. Doch zuerst unser Empfang am Bahnhof. Die SA hatte sich zu einer Gasse am Bahnhof aufgestellt, da mussten wir durch. Es wurde mit allerhand Mordwerkzeugen geschlagen, den Meisten lief das Blut schon durchs Gesicht.

Auf dem Bahnhof mussten wir uns aufstellen. Alle SA-Leute wollten kommandieren, es war ein großes Durcheinander! Plötzlich stand auch einer vor mir und grölte mich an, ob ich kalt wäre. Ich verneinte dies, er aber sagte: „Du bist kalt? Zieh dem Juden da den Mantel aus, der braucht ihn doch nicht mehr!“ Ich sah, wie er auf einen alten Mann zeigte. Wie ich sofort gewahr wurde, war es Erich Mühsam1  ...

Ich habe den Befehl nicht ausgeführt. Dafür schlug mich der SA-Mann auch schwer ins Gesicht – das Blut lief mir übers Zeug. Endlich war es soweit, dass wir abmarschieren konnten. Die ganze Bevölkerung war vertreten, man hatte ihnen gesagt, wir wären Reichstagsbrandstifter. Eltern und Kinder schlugen nach uns oder wir wurden angespuckt.

Nach Sonnenburglager ging es ein wenig steil an, wir mussten singen. „Deutschland über alles“, dabei schlug die SA mit Knüppeln auf uns ein. So kam es, dass alles durcheinander war. Vorne sangen sie die zweite Strophe und hinten die erste. Am meisten wurden E. Mühsam, Rechtsanwalt Sitten2 und Bernstein3 auf diesem Zug geschlagen. E. Mühsam hatte soviel abgekriegt, dass er zusammenbrach. Er wurde dann mitgeschleppt von unseren Genossen. Ich hatte schon vorher sein Gepäck genommen, sie hatten den alten Mann immer wieder auf die Hände geschlagen, dass er zuletzt nichts mehr halten konnte.

Auf diesem Weg wurde ich gewahr, was Schutzhaft heißt, und was meine Feinde waren, unsere Peiniger waren vertierte Menschen, nannten sich SA-Hipo4 und standen unter dem Befehl Graf Helldorfs5. Auf dem Lagerhof mussten wir antreten, dabei wurde wieder geschlagen. Auf einmal hieß es, jeder dritte Mann wird erschossen! Da mischte sich ein Verwaltungsbeamter ein, der sagte, was da gemacht werden solle, sei Mord und sie wurden sich uneinig. Wir sind dann so mit einem kleinen Schreck davon gekommen.

Dann wurden mir zwei Unbekannte von der Seite geholt - mit dem Bemerken, sie sollten den Keller ausfegen. Minuten später fielen Schüsse! Ich habe diese Leidensgenossen nicht wieder gesehen.

Die SA verschwand jetzt zum größten Teil, wir mussten uns Aufstellen und sollten durch

einen dunklen Gang nach oben laufen. Von einem SA-Mann wurde uns gesagt, es würde dort Keile geben. Er hat uns durch seine Aussage einen guten Dienst erwiesen. Er hat sich auch später öfters als guter Mensch gezeigt. Jedenfalls stürmten wir den Gang hoch. Die SA hatte das Nachsehen.

Beim Eingang in den Saal wurde mir ein Bein gestellt, ich machte einen Salto – kam aber so schnell auf die Beine, dass die nachfolgenden Kameraden nicht über mich weg trampeln brauchten. In dem Saal lagen Mehlsäcke, in einer Ecke Decken und Bezüge. Uns wurde befohlen, in einer kurzen Zeit Betten auf dem Fußboden zu bauen, was uns auch gut gelang.  Aber es war nicht gut, immer wieder lief einer mit seinen Stiefeln darüber hin, bis sie es selber satt hatten.

Dann wurde zum Essen gerufen. Bei einem Topf standen zwei SA-Leute mit einem Gummiknüppel. Wir trauten uns zuerst nicht recht heran. Ein Verwaltungsbeamter kam und blieb solange, bis wir mit dem Essen fertig waren. Es gab an diesem Tag Bohnen mit reichlich Speck. Es sollte das einzige Mal sein, wo es gut war. In den folgenden (Tagen) wurde die Verpflegung schlecht.

Nachmittags wurden wir mit zirka 30 Mann abkommandiert. Wir mussten uns im Hospital einen Saal zurecht machen zum Schlafen und Wohnen, Betten waren keine da. Jeder bekam einen Strohsack, dazu mussten wir in den Keller steigen. Hierbei gab es wieder allerhand Hiebe. Mit unserem Strohsack ging es im Laufschritt zum Hospital. Dort wurden alle nebeneinander auf den Fußboden gelegt. Eine Decke gab es auch, und so hatten wir für die nächste Zeit was zum Schlafen. Später bekamen wir noch einige Tische  und Bänke. Mehr konnten wir Schutzhäftlinge auch nicht verlangen.

Uns wurde jetzt erklärt, wie wir uns zu verhalten hätten gegenüber den Polizeibeamten (SA-Leute), wie wir sie anreden durften. Auch mussten wir einen Stubenältesten haben. Es begann ein militärischer Drill. Das Schönste war, wenn einer austreten musste. Dann musste man eine stramme Haltung einnehmen und ganz laut brüllen: Herr Wachtmeister, Schutzhäftling Soundso bittet austreten zu dürfen. War der SA-Mann gut gelaunt, konnte man hingehen. Aber wehe, wenn einer von den Jungen da war. Dann hieß es: “ Was? Das soll eine militärische Haltung sein? Hinlegen! Auf! Hinlegen! Auf!...“ bis man nicht mehr konnte und dann konnte man ruhig die Hose voll machen, „Heraus“ gab es dann nicht mehr.

Einige Male auf den Tag kamen die Rollkommandos. Dann wurden Namen aufgerufen, die mussten mitkommen. Wenn sie nach einigen Stunden wiederkamen, waren sie blutig geschlagen – oder sie blieben fort. Dann hieß es, die sind auf Transport.

An einem Morgen wurde ich mit fünf Kameraden zum Arbeiten kommandiert. Wir sollten Wasser pumpen. Dabei wurden wir in eine Zelle geschlossen, da stand eine große Drehpumpe. Diese Pumpe konnten wir kaum drehen. Jede Viertelstunde mussten sich 3 Mann ablösen. Unser Pensum war, alle Wassertanks im Lager zu füllen, sonst würden wir nicht abgelöst. Am Mittag war noch nirgends Wasser, dann Abends dasselbe. So ging es allen Arbeitskameraden. Denn was wir herein pumpten, ließen die SA-Leute wieder herauslaufen.

Aber auch dieser Schmerz ging vorüber, wir bekamen sogar eine Motorpumpe!

Bald mussten (wir) das Hospital wieder verlassen und wurden verteilt auf dem N.G.O. (?) und Westflügel, im Nordflügel waren alle Zellen, wo 10 Mann hereinkamen, der Westflügel hatte Zellen von 1 oder 2 Mann, hier saßen alle, die nach Ansicht der Nazis etwas verbrochen hatten.

Diese Genossen wurden Tag und Nacht schikaniert und geschlagen. Im Südflügel waren die Unterkünfte der Wachtmannschaften. Der Ostflügel hatte zum größten Teil Dunkelzellen, da wurden Häftlinge eingesperrt, die sie reif machen wollten für die Irrenanstalt.

Wir hatten uns im Nordflügel schnell eingelebt, jeder Wachmann war uns bekannt, ob gut oder schlecht. Die Schikanen blieben immer dasselbe. Für ein kleines Vergehen gab es Schläge und Kostentziehung. Unsere Tagesrationen waren nicht ausreichend. Wenn an der schwarzen Tafel stand – sie war bei der Küche angebracht – „Für Inhaftierte Frühstück: Kaffee Brot mit Marmelade – Mittag: Kartoffeln und Fisch – Abends: Brot mit Marmelade“, so freuten wir uns die erste Zeit, wenn es was besonderes gab. Es traf aber nie richtig zu.

Wenn es hieß, „alles antreten zum Essen holen“, dann bekam man bei dem einen Kessel einen Schlag Kartoffeln und bei dem anderen wurde ein Kran offen gedreht, daraus kam dann eine undefinierbare Masse. Es sollte Fisch sein.

Da wurde ein Korb Fische in einen großen Kessel mit Wasser getan, das musste langen.

So ging es jeden Tag, ob Erbsen oder Bohnen, es war egal: immer Wassersuppe!

An einem Tag hieß es, in Berlin sei die Hindenburgeiche umgeschlagen. Das hätten natürlich die Kommunisten getan. Wir alle bekamen 3 Tage kein Essen und es wurde wie üblich feste geschlagen.

Einmal war ich mit  im Westflügel zur Brotausgabe. Wir hatten unsere Kameraden einen Tag nicht gesehen, wollten also wissen, was so los war. Ich war erschrocken, als ich sie sah. Keiner konnte aus den Augen schauen, einer mit zerschlagenen Lippen und ausgeschlagenen Zähnen. Einen Teil bekam ich nicht zu sehen, die hatten sie so zugerichtet, dass sie nicht laufen konnten. Unter ihnen E. Mühsam, dem hatten sie die Pulsadern geöffnet und mit einem Messer die Haare abgeschnitten. Er musste ins Hospital gebracht werden.

Einmal drang von der Außenwelt herein, in Harburg wären 11 Arbeiter hingerichtet, sie hatten sich gegen die Nazis gewehrt.

Sie (Mitgefangene/W.) machten unter schwierigsten Verhältnissen mit 3 Mann handgeschriebene Flugblätter, diese wurden morgens verteilt. Parole war: Keiner lacht heute, keiner sollte singen. Nur gemeinschaftlich wollten wir am Abend  „Ich hatt’ ein’ Kameraden“ singen, und zwar mit entblößten Köpfen. Es ging auch alles gut, bis zum zweiten Vers. Plötzlich wurde wie auf Kommando geschlagen, ich glaube, es war Verrat. Wir haben aber bewiesen, dass auch unter den schwierigsten Bedingungen gearbeitet werden konnte.

Am nächsten Tag wurde ich von einem SA-Mann geholt, angeblich zum Kübeln. Ich wurde im Keller schwer misshandelt, unter anderem Zähne ausgeschlagen, Nasenbein gebrochen, mehrere Schläge mit einem Kolben auf den Brustkasten und einen Schlag mit einem scharfen Gegenstand ins Rückgrat. Das war ihre Rache.

Wir bekamen manchmal Besuch. Es waren Pressevertreter aus verschiedenen Ländern. Bekannt waren mir aus Russland: Frau Kollontai6  – aus Amerika: T. Knickerbocker7.

Wir wussten gar nicht, was los war, als es auf einmal hieß, „sauberes Zeug empfangen“. Wir durften uns sogar in die Sonne legen und Vieles mehr!

Es war alles Theater.

Die Zeitungsmenschen sahen uns und fanden soweit alles in Ordnung. T. Knickerbocker stellte an E. Mühsam sogar Fragen und ob er einen Wunsch hätte. E. Mühsam sagte dann, er möchte gerne das Buch haben „Barbaren des 20. Jahrhunderts“. Da lachte

der Reporter und meinte, das Buch müsste noch geschrieben werden und so zogen sie wieder ab. Wir mussten sofort unsere Jacken wieder abgeben und von wegen, „in der Sonne liegen“! Die wollten uns helfen!

Unser Kreis wurde immer kleiner, ein Teil kam in andere Lager, viele hatten einen Prozess, es hagelte Zuchthaus- und Todesstrafen.

Aufgefüllt wurde das Lager wieder, es kamen Verbrecher und Gesindel herein. Bei uns hieß es eines Tages: Entlassung – mit einer Ansprache, die ungefähr so lautete:

„Nationalsozialisten seid ihr nicht geworden und werdet es auch nie. Aber eine bessere Erziehung konnten wir euch auch nicht angedeihen lassen. So zieht heim –  lasst euch aber nicht dabei erwischen, dass ihr euch politisch betätigt! Dann gibt es fünf Jahre Zuchthaus!“

Und ein Wort vom Lager erzählen, das wäre Verbreitung falscher Gerüchte und Gräuelpropaganda! Das wäre eine Herabsetzung der nationalsozialistischen Politik. Und was uns dann passierte, wüssten wir ja!

So verließen wir das Lager Richtung Berlin. Oh, diese Hunde hatten was aus uns gemacht: geduckte Menschen, vom ewigen Prügeln mürbe. Man fühlte über sich den unsichtbaren Arm  der Geheimen Staatspolizei!

Abends kamen wir in Berlin an. Es war gerade Razzia. Da standen wir ohne Papiere, nur mit einem Entlassungsschein vom Lager. Es fielen von Seiten der Nazipolizisten allerhand böse Wörter, die im Naziwortschatz immer wieder zu finden waren – so wie „Brandstifter, Strolche, Mörder“. Wir sollten uns man in der Hedemannstraße8 obdachlos melden, die würden uns gerne aufnehmen.

Das will ich wohl glauben, die waren ja bekannt als Schläger. Wir konnten noch weiterfahren, mussten aber nachts auf einem anderen Bahnhof bleiben, da unser Zug morgens um 5 Uhr weiterfuhr. Ich schreibe dies noch, da wir auf dem Bahnhof einen kleinen Zwischenfall hatten. Das war Folgendermaßen:

Wir saßen in einer Ecke im Wartesaal, als einige SA-Leute ziemlich angetrunken hereinkamen. Sie verlangten von dem Wirt Schnaps und Bier. Der Wirt brachte das Gewünschte. An dem Gebaren der SA-Leute sahen wir schon, dass sie sich über uns unterhielten. Dann kam einer an unseren Tisch und er frug: „Wo kommt ihr her? Wo wollt ihr hin?“

Ich sagte ihm, wir wären aus dem Lager entlassen. Wir mussten unsere Scheine vorzeigen, dann war alles in Ordnung. Wir sahen ziemlich herunter gekommen aus, das fiel sogar den SA-Kerlen auf. Einer frug, wie das käme, dass ich so mager wäre. Ich habe ihm geantwortet, das sei die gute Kost im Lager gewesen.

Aber die standen unter dem Einfluss von Alkohol, dass sie diese Anspielung nicht spürten. Wir konnten mittrinken auf ihre Rechnung, was wir aber ablehnten. Dann fingen sie an zu singen „Die Fahne hoch...“

Wir haben un(sern) Rest Brot ausgepackt und gegessen. Es war wohl das Beste, was man machen konnte.

Abends um 6 Uhr kamen wir in Emden an. Dann kamen die Meldungen bei der Polizei und auf der Kreisleitung der Partei. Dort wurde mir erklärt, ich müsse in die NSdAP oder deren Gliederungen eintreten, was ich abgelehnt habe mit der Begründung, ich dürfte mich nicht wieder politisch betätigen. Darauf der Kreisleiter: „Unsere Partei ist eine Staatspartei, wenn nationalsozialistische Politik getrieben wird, ist (das) kein Verbrechen!“

Durch Redewendungen habe ich dann erklärt, die Erziehung sei im Lager nicht so gewesen, dass ich mich zur Partei entschließen könne. Da hatte man mir vorerst nichts mehr zu sagen. Nur Bennemann9  meinte, ich würde noch von der Partei was hören.

Das haben die nächsten Jahre gezeigt, wie die sogenannte „Arbeiterpartei“ mit den Unternehmern zusammenarbeitete. Zuerst war überhaupt keine Arbeit für mich da. Erwerbslose gab es angeblich nicht mehr. Um nicht als arbeitsscheu angesehen zu werden, wurde ich Gelegenheitsarbeiter.

Durch meine im Lager zugezogenen Verletzungen konnte ich keine schwere Arbeit mehr verrichten. Trotzdem musste ich später wieder auf einem Logger fahren, da es an Land keine Arbeit gab. Im Dezember 1938 kam ich bei einem Unternehmer, der kein Nazi war, in Arbeit.

Dann brach der Krieg aus, was wir Kommunisten immer gesagt haben: „Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!“

Siegesfanfaren und Heilgeschrei übertönte die Vernunft, ganz Deutschland war in einem Taumel. Die kleinen Staaten wurden überrannt, Frankreich, ja - bis nach Stalingrad reichte der Arm des Militarismus.

Jetzt wuchs der Widerstand – nur in Deutschland konnte sich die Arbeiterschaft nicht aufraffen. Die Avantgarde war zum größten Teil in den KZ-Lagern und Zuchthäusern, ein großer Teil ihrer Besten wurde ermordet.

Millionen ausländischer nach Deutschland verschleppte Arbeiter, Frauen und Kinder wurden vergast und erschlagen. Von dem ersten KZ-Lager Sonnenburg bis Treblinka waren Meilensteine mit Blut geschrieben.  Die vereinten Nationen stießen bis ins Herz Deutschlands vor und mussten den Faschismus in seinen Bastionen schlagen, um

uns die Freiheit zu bringen. Ganz Deutschland war ein Trümmerfeld.

Jetzt heißt es, aus diesen 12 Jahren die Lehren zu ziehen. Es hätte keinen Nationalsozialismus und Krieg gegeben, wenn die beiden Bruderparteien sich einig gewesen wären im Kampf gegen den Kapitalismus, und so erklären wir uns auch als mitschuldig, weil wir nicht entschieden genug gegen alle Feinde der Arbeiterschaft gekämpft haben.

Aber aus den Trümmern, Blut und Tränen wird ein neues demokratisches Deutschland entstehen, dessen geeinte antifaschistischen Kräfte die Garanten und Fundamente sind.

Die Parole aller Antifaschisten muss sein: Ausrottung aller reaktionären Kriegstreiber und Faschisten! Das verbürgt uns einen friedlichen Aufbau in Gemeinschaft mit allen Nationen.

Zum Autor:

                                            (Quelle Foto: Internetseite der SPD Loppersum)

Klaas Meyer war zur Zeit seiner Verhaftung Mitglied der KPD. Nach dem Krieg schloss er sich der Sozialdemokratie an und war für die SPD von 1956 bis zu seinem Tode am 19.2.1972 Bürgermeister und Gemeindedirektor in Loppersum.

Anmerkungen:

(Die Einleitung schrieb H.-G. Wendt, der auch den Text zum besseren Verständnis geringfügig überarbeitete –  rot eingefärbte Wörter oder kursiv - und mit Interpunktion versah)




1 Erich Kurt Mühsam (* 6. April 1878 in Berlin; † 10. Juli 1934 in Oranienburg) war ein deutscher Autor und Publizist. Als politischer Aktivist war er maßgeblich an der Ausrufung der Münchner Räterepublik beteiligt, wofür er zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt wurde und nach fünf Jahren im Rahmen einer Amnestie freikam. In der Weimarer Republik kämpfte er in der Roten Hilfe für die Freilassung politischer Gefangener. In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet und am 10. Juli 1934 von der SS-Wachmannschaft des KZ Oranienburg ermordet. (Quelle Wikipedia)

2 Hans Litten (* 19. Juni 1903 in Halle (Saale); † 5. Februar 1938 im KZ Dachau; vollständiger Name Hans Achim Litten) war ein Rechtsanwalt und Strafverteidiger. Insbesondere als Gegner des NS-Regimes und Anwalt des Proletariats machte sich Hans Litten einen Namen. Stationen seiner fünfjährigen Inhaftierung waren das KZ Sonnenburg und das Zuchthaus Brandenburg, wo er und der Anarchist Erich Mühsam gemeinsam gefoltert wurden. Im Februar 1934 wurde Litten in das „Moorlager" Esterwegen im Emsland und wenige Monate später ins KZ Lichtenburg verlegt. Im Sommer 1937 kam Litten nach Buchenwald und im Oktober 1937 schließlich nach Dachau, wo er unter anderem seinen besten Freund Alfred Grünebaum kennenlernte. Dort erlitt er eine Stress-Psychose und wurde am 5. Februar 1938 von Alfred Grünebaum erhängt in der Toilette gefunden. Es ist eindeutig festgestellt worden, dass Litten in Dachau durch Suizid starb. (Quelle: Wikipedia)

3 Rudolf Bernstein (* 29. Februar 1896 in Berlin; † 6. Oktober 1977 in Berlin) war ein deutscher Komintern- und Filmfunktionär. Ab 1925 war er hauptamtlicher Funktionär der KPD. Er leitete verschiedene Parteibetriebe und wurde vor 1933 in der KPD-Zentrale im Karl-Liebknecht-Haus tätig als Sekretär der Geschäftsabteilung.[3] Außerdem war er KPD-Bezirksverordneter in Berlin. Nach dem Reichstagsbrand 1933 wurde er verhaftet und ohne Anklage im Polizeigefängnis Alexanderplatz und anschließend in Spandau, später im KZ Sonnenburg eingekerkert. – Von dort wurde er als Zeuge zum Dimitroff-Prozess vorgeführt. Ihm und seiner Familie gelang 1934 die Flucht in die Sowjetunion, wo er für die Komintern tätig wurde. (Quelle Wikipedia)

4 SA-Hilfspolizei. Siehe am Anfang die Einleitung.

5 Wolf-Heinrich Graf von Helldorf, auch Wolf Heinrich Graf von Helldorff; (* 14. Oktober 1896 in Merseburg; † 15. August 1944 in Berlin-Plötzensee) war für die NSDAP ab 1933 Reichstagsabgeordneter und Polizeipräsident. Er knüpfte ab 1938 Kontakte zu Widerstandskreisen und wurde 1944 hingerichtet. (Quelle: Wikipedia)

6 Alexandra Michailowna Kollontai (russ. Александра Михайловна Коллонтай, wiss. Transliteration Alexandra Michajlovna Kollontaj; * 19. Märzjul./ 31. März 1872greg. in Sankt Petersburg; † 9. März 1952 in Moskau) war eine russische Revolutionärin, Diplomatin und Schriftstellerin. (Quelle: Wikipedia)  Meyer schreibt den Namen „Kolantei“.

7 Es kann sich eigentlich nur um Hubert Renfro Knickerbocker (* 31. Januar 1898 in Yoakum, Texas; † 12. Juli 1949 bei Mumbai) handeln, einen US-amerikanischen Journalisten und Publizisten, der mehrerer Bücher zu europäischer Politik schrieb und Pulitzer-Preisträger war. Knickerbocker war stark in die politischen Geschehnisse Europas während der 20/30er als Journalist und Autor eingebunden, sodass bei ihm ein Interesse am Umgang mit den politischen Gegnern im faschistischen Deutschland vorauszusetzen ist. Meyer schreibt den Namen „Knikeboker“. (Quelle: Wikipedia)

8 Ein  berüchtigtes Polizeigefängnis in der Hedemannstraße Berlin-Kreuzberg ist gemeint

9 Wer mehr über Bennemann wissen will, lese den kleinen Aufsatz über ein Uphuser Geschehen auf unserer „Ubbo-Emmius“- Internetseite.