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Rote Fahnen in der Seumestraße
Kunst hat in der politischen Welt des Sozialismus schon immer eine große Rolle gespielt. Sei es, dass engagierte Künstler den Alltag der Arbeiterinnen und Arbeiter in Bild oder Schrift festhielten, Werktätige selber zu Künstlern wurden, um ihr Leben anderen mitzuteilen, oder dass die Kunst ganz direkt in die Parteiauseindersetzungen mit agitatorischen Texten und Plakaten eingriff. Im Allgemeinen hatten solche Kunstschaffenden einen direkten Bezug zu "ihrer Klasse", zu revolutionären Ideen und deren Umsetzung. Mit Ausnahme von Fritz Loop, dessen Geschichten und Zeichnungen aus der Zeit des Faschismus eigenes Erleben schildern, hat es in Emden wohl keinen kunstsinnigen Menschen in der linken Bewegung gegeben, der die Vorgänge seiner Heimatstadt festgehalten und wiedergegeben hat. So blieb es dem Zeichenlehrer Robert Reinhard* vorbehalten, wenigstens ein Dokument künstlerischen Sehens mit Bezug auf "das rote Emden" zu schaffen.
*REINHARD, Robert Wilhelm August
geb. 27.8.1870 Demmin / Vorpommern, gest. 24.8.1953 Hambostel bei Soltau; luth. Zeichenlehrer
Aiko Schmidt vom Ostfriesischen Landesmuseum hat für das "Biographische Lexikon für Ostfriesland"
Bd.5 eine Biografie von Reinhard erstellt, die demnächst erscheinen wird.

Warum ausgerechnet der sonst eigentlich eher kaisertreu und wahrhaft konservativ zu nennende Maler Reinhard das Aquarell
"Seumestraße" auf schlichtes Zeichenpapier auftrug und mit einfachen Strichen dennoch liebevoll die Buntheit exakt abbildete,
bleibt letztlich sein Geheimnis.
Es könnte sein, dass selbst die bürgerliche Welt beeindruckt war vom Zusammenhalt der Arbeiter untereinander, und möglicherweise
bei dem Einen oder Anderen Zweifel aufkamen an der Richtigkeit ihrer althergebrachte Vorstellungen.
Genauso gut ist es auch möglich, dass nur das Auge des Künstlers Reinhard gefangen war von diesem roten "Banner der Arbeit"-Meer,
und er den Eindruck unbedingt festhalten wollte.
Das ist ihm gelungen.
Wir können auch nicht mehr sagen, zu welchem Datum welchen Jahres so viele Menschen der Seumestraße ihre Zugehörigkeit zu Revolution
und Partei mit herausgehängten Fahnen deutlich machten. Vielleicht an einem Ersten Mai - oder es war jener Tag des 3. August 1930,
über den in unserem Beitrag "Ein Tag in Emden" berichtet wird.
Die Seumestraße jedenfalls war keine "Proletarierstraße", in der Mehrheit wohnten hier Beamte und gehobenere Berufsstände.
Einfache Arbeiter waren in der absoluten Minderzahl. Namentlich tritt keiner der in den Einwohnermeldebüchern aufgeführten Mieter
sonst irgendwie politisch in Erscheinung. Deshalb ist es um so erstaunlicher, wie viele Sympathisanten der linken Bewegung es seinerzeit
auch in gutbürgerlichen Kreisen gegeben haben muss.