Die Bedeutung des Emder Arbeiter - und Soldatenrates

Stempel des AuSR


90 Jahre nach der (Selbst-)Auflösung des Emder Arbeiter - und Soldatenrates erinnert nichts mehr an sein viermonatiges Wirken vom November 1918 bis zum Februar 1919. Es gibt im Stadtarchiv drei Arbeiten, die sich mit seinem Wirken beschäftigen1 Sie vermitteln faktenreich ein Bild der damaligen Vorgänge, und doch blieben mir beinahe mehr Fragen, als ich zuvor gehabt hatte. Ich begann, meine Geschichtskenntnisse wieder hervor zu holen, um mir eine Einschätzung der Ereignisse zu verschaffen.


Die Zeit von der Jahrhundertwende bis zum Ende des ersten Weltkriegs


Seit der Jahrhundertwende 1900 hatten sich zwischen den großen imperialistischen Mächten die Spannungen verschärft, Deutschland hatte sich mit seinem laut propagierten Streben nach einem "Platz an der Sonne" und mit seiner maritimen Hochrüstung eine Menge Feinde gemacht.


Die SPD war wie auch eine Reihe von Schwesterparteien immer weiter von ihren internationalistischen Grundsätzen abgerückt, das Wort: "Kein deutscher Arbeiter wird auf einen Arbeiter eines anderen Landes schießen" galt bald nicht mehr. Zu Beginn des Weltkriegs stimmte die SPD sogleich den Kriegsanleihen des Reiches fast einstimmig zu. Im folgenden betrieb sie dann eine Politik des "Burgfriedens" mit der Regierung und entfernte sich von weiten Teilen ihrer Anhänger. In der Bevölkerung wuchs die Ablehnung des Krieges, je länger er dauerte, da die einfachen Leute immer weniger zu essen hatten und sich auch sonst immer schlechter versorgen konnten.


Am Ende des Krieges, so würde man heute sagen, "implodierte" dann das halbfeudale, vordemokratische deutsche Regime. Die militärische Führung war jedoch nicht bereit, auf einen Waffenstillstand einzugehen, der die widerspruchslose Annahme der alliierten Bedingungen zur Voraussetzung gehabt hätte. Meutereien und Desertionen nehmen zu. Deutsche Politiker mussten schließlich einen Waffenstillstand verhandeln. Das wird den militärischen Führern später die Gelegenheit geben, die "Dolchstoßlegende" in die Welt zu setzen und den Politikern die Schuld an der unausweichlichen militärischen Niederlage Deutschlands zu geben..


Das alte halbfeudale Regime war völlig gescheitert, der Kaiser floh am 10.11.1918 in die Niederlande. Für die bürgerlichen Schichten brach ein Weltbild und die damit verbundene Welt zusammen. Es war diese Implosion der alten Macht, die die Voraussetzung des Entstehens der Arbeiter - und Soldatenräte überall in Deutschland war.


Der Emder Arbeiter - und Soldatenrat


Der Emder Arbeiter - und Soldatenrat wurde, erst einmal von der Öffentlichkeit unbemerkt, am 5.11.1918 gegründet. Er bestand aus dem Garnisonsältesten, einem Freiherrn von Hanstein, und 5 weiteren Mitgliedern, darunter dem Obmann des Arbeiter-Ausschusses der Nordseewerke. Am 8.11.1918 wurde die Gründung der Bevölkerung bekanntgegeben.

Bekanntmachung des AuSR

Der Emder Arbeiter - und Soldatenrat war also von vorneherein kein revolutionäres Organ, sondern sah hauptsächlich auf die Einhaltung von Ruhe und Ordnung, kümmerte sich um die Lebensmittelversorgung  Er vermittelte zwischen Fabrikbesitzern und Arbeitern und erreichte Tarife, die für diese Zeit vorbildlich waren. Ebenso sorgte er für die Einführung Hamburger Löhne bei den Nordseewerken.  Er ging gegen Schieberei und Schwarzhandel vor. Er arbeitete mit der Stadtverwaltung zusammen, obwohl dies nicht immer einfach war. Das "Bürgergewinngeld" wurde auf eine Mark herabgesetzt, was den Emder Arbeitern erstmals die Chance eröffnete, an den Kommunalwahlen teilzunehmen. Bis dahin war der Emder Rat eine reine Honoratioren-Vereinigung gewesen.  Die "Rhein-Ems-Zeitung" bestimmte er für die Veröffentlichung seiner Verlautbarungen. Es gab im Emder Arbeiter-und Soldatenrat auch eine spartakistische Strömung, die sich allerdings in einer Minderheiten-Position befand und sich nicht durchsetzen konnte.

Die Arbeiter - und Soldatenräte erfuhren keinerlei Unterstützung aus Berlin, sie werden im Gegenteil von der sozialdemokratischen Regierung ("Burgfrieden") abgelehnt. Sie können sich aber dennoch eine Weile in den einzelnen Kommunen halten. 

Anweisung der Marine

Telegramm aus Berlin

Der Emder Arbeiter - und Soldatenrat hatte von vorneherein vor, nach Abhaltung der Kommunalwahlen zurückzutreten. Dennoch sandte die Regierung in Berlin Truppen am 28.2.1919 nach Emden, um den Arbeiter- und Soldatenrat abzusetzen. Es kam zu keinen Auseinandersetzungen. Am 1.3.1919 trat der AuSR zurück. Auf ein Telegramm des AuSR am Tag derBesetzung nach Berlin antwortet Gustav Noske (SPD): "Was braucht Ihr Regierungstruppen zu fürchten, wenn bei euch alles in Ordung ist." (Gustav Noske bezog später unter den Nationalsozialisten seine Pension weiter.)

Zu erwähnen ist noch, dass neben den regulären Truppen auch noch sogenannte Freikorps, umherziehende herrenlose Truppenverbände, gegen die Arbeiter von der Regierung eingesetzt wurden. Im "Kapp-Putsch" wurde dann später beinahe die Regierung selbst Opfer socher Verbände. von denen viele in der SA unterkamen. Hier ist eine Werbung für ein Freikorps (Quelle:Emder Stadtarchiv):

vaterländische Westfalen

Im Auftrag der Reichsregierung marschierten Verbände von Reichswehr und Freikorps unter dem Kommando Freiherr von Watter am 2. April 1920 in das Ruhrgebiet ein und warfen den Aufstand nieder. Nach willkürlichen Erschießungen mit mehreren tausend Toten erließ von Watter am 12. April 1920 den Befehl, dass „gesetzwidriges Verhalten“ ab sofort gemaßregelt werde.
Auf seine Initiative hin wurde südlich von Haus Horst in Essen 1934 ein Ehrenmal zum Gedenken an die 1920 bei der Niederschlagung des Ruhraufstands gefallenen Freikorpssoldaten errichtet.
Seine letzte Ruhe fand von Watter auf dem Invalidenfriedhof in Berlin. (Quelle: wikipedia)

Am Ende des Ersten wurde schon der Zweite Weltkrieg vorbereitet, und manche Historiker bezeichnen die Epoche von 1914-1945 als den "großen europäischen Bürgerkrieg". Am 8.11.1919, dem einjährigen Jubiläum des "Tages der Schande" rät die Emder Zeitung, die "Verräter im nächsten Kriege den französischen Mordgeschossen entgegen zu jagen". Da waren es noch knapp 20 Jahre bis zum Anfang des nächsten Krieges. Von daher ist es kein Wunder, wenn der bürgerliche Stahlhelm am 31. Januar 1933 gemeinsam mit der SA die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler in Emden öffentlich feiert.

Tag der Schande in der Emder Zeitung         

1Lenhard Jannsen "Revolutionäre Bewegungen in Ostfriesland am Anfang der Weimarer Republik", Examensarbeit, 1974 

Sigrid Pladies "Funktion und Bedeutung des Emder Arbeiter - und Soldatenrates von November 1918 bis Februar 1919, Examensarbeit, o.J.

Rudolf Nassua "Alle Macht den Räten. Arbeiterräte, Bauern und Landarbeiterräte, Soldatenräte in Ostfriesland", Aurich, 2007


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