Hans-Henning Adler Rede von Hans-Henning Adler auf der Gedenkveranstaltung zum 75. Todestag von Carl von Ossietzky am 11.5.13 bei der Begräbnisstätte des KZ Esterwegen*

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kameradinnen und Kameraden der Verfolgten des Nazi-Regimes,
wie schon in Jahren zuvor gedenken wir an dieser Stelle der Opfer der Emslandlager während der Nazizeit. Hier wurden Menschen gequält und ihre Arbeitskraft wurde in kaum vorstellbarer Weise durch Zwangsarbeit im Moor ausgebeutet. Hier wurden Menschen ermordet. Historiker gehen davon aus, dass während der Nazizeit insgesamt 30.000 Menschen ums Leben gekommen sind.
10-18 Kubikmeter schweren Moorbodens musste die Moorsoldaten mit Hacke und Spaten kultivieren. Das war das Tagespensum. Auf Alter, Körperkraft oder Gesundheit wurde keine Rücksicht genommen. Wer nicht mehr arbeiten konnte, wurde verprügelt, teilweise zur Abschreckung vor den Moorsoldaten lageröffentlich unter dem Gejohle der Henkersknechte. In der Lagerordnung hieß es, wer im Moor die Arbeit verweigert oder meutert, würde erhängt.
Wer vor Erschöpfung zusammenbrach, wurde schwer misshandelt, darunter auch der prominenteste Gefangene Carl von Ossietzky. Auf Grund der Folterung, die er auch schon vorher im Konzentrationslager Sonnenburg erleiden musste, war er bereits geschwächt nach Esterwegen gekommen. Später starb er dann an den Folgen der Misshandlungen, der schlechten Ernährung und der mangelhaften gesundheitlichen Versorgung.
Dass Carl von Ossietzky überhaupt bis zum 04.05.1938 überleben konnte, verdankte er der Hilfe seiner Mitgefangenen, die ihm das ein oder andere Mal Teile seines Arbeitspensums abnahmen. Er verdankte es aber auch der internationalen Solidarität. Der internationale Druck war so, dass Hitler es sich nicht erlauben konnte, ihn einfach umbringen zu lassen. Anlässlich der Olympiade 1936 war er auf weltweites Ansehen angewiesen und hatte dann auch veranlasst, ihn kurz vor seinem Tod frei zu lassen. Internationales Aufsehen hatte natürlich die Verleihung des Friedensnobelpreises an Ossietzky ausgelöst, was den Gefangenen in Esterwegen umso prominenter machte. Es ist überliefert, dass ein SS-Mann hatte ihn mit den Worten angebrüllt hatte: "am liebsten würde ich dich umbringen, aber von dir wird gesprochen."
Die Gestapo lehnte es ab, Ossietzky zur Entgegennahme des Preises nach Oslo reisen zu lassen. Wenige Tage nach der Verleihung des Nobelpreises wurde Ossietzky in das Krankenhaus Nordend in Berlin Niederschönhausen verlegt, wo seine vorgeschrittenen Lungentuberkulose nicht mehr geheilt werden konnte.
Wir gedenken heute des 75. Todestages Carl von Ossietzky. Er verstarb am 04. Mai 1938. Zu erinnern ist auch an den 09.Mai. 1933, der sich jetzt zum 80. Male jährt, ich meine den Tag der Bücherverbrennungen durch die Nazis. Damals hieß es: "Verschlinge Flamme auch die Schriften von Tucholsky und Ossietzky."
Carl von Ossietzky hatte schon frühzeitig vor den Nazis gewarnt. 1931 schrieb er in der "Weltbühne", der Nationalsozialismus werde ungleich brutaler und blutiger mit jeder Opposition verfahren als der italienische Faschismus, weil er es mit einer starken organisierten Arbeiterbewegung eines hoch entwickelten Industrielandes zu tun habe, die nur mit größter Gewalt unterdrückt werden könne. Er sagte voraus, wie das Zukunftsbild vom Industriebetrieb im Nationalsozialistischen Deutschland aussehen würde:
"Dann wird auch der Sieg des monopolisierten Kapitalismus vollkommen sein. Dann wird der SA-Landsknecht die Manneszucht in den Betrieben schon übernehmen. Dann werden die Gewerkschaften zertrümmert werden und der Deutsche Mann wird befreit von dem unwürdigen Pariageist der gewerkschaftlichen Koalition und ihrem judäisch-marxistischen Tarifrecht, rank und schlank, hei, vor seinen Industrieherzog treten und ihm hochgemut seine Dienste als Kaufmann, Techniker oder Lampenputzer anbieten. Unter einer alten knorrigen Westfälischen Eiche wird er seinem Lehnsherren den Eid leisten, ihm allzeit treu, hold und gewärtig zu sein, und wer dann noch Geld sehen will, der wird erschossen."
Das war seine Einschätzung zum Charakter des Faschismus und seine Vorhersage zum Schicksal der Gewerkschaften unter der Nazi-Herrschaft von 1931.
Ossietzky hatte während der Weimarer Republik vergeblich versucht, die Parteien der Arbeiterbewegung zum gemeinsamen Handeln zur Verhinderung des Faschismus zusammen zu führen. Im KZ Esterwegen traf er dann führende Repräsentanten von SPD und KPD wieder. Da war es aber zu spät.
In seiner Verzweiflung hatte Ossietzky schon 1924 versucht eine eigene Partei, die Republikanische Partei (RPD), zu gründen, die allerdings als Splitterpartei endete. In dem damaligen Parteiprogramm, welches Ossietzky verfasst hatte, standen Forderungen, die noch heute aktuell sind:
-Unabhängige und volksnahe Selbstverwaltungskörper
-Kampf für die sozial Schwachen und Zusammenschluss gegen die Diktatur der Wirtschaft
-Herrschaft des demokratischen Staates über die Wirtschaft.
Was wir heute an den Finanzmärkten erleben,die Diktatur der Finanzmärkte und ihrer Rating-Agenturen über demokratisch gewählte Regierungen, besonders in Südeuropa, zeigt wie aktuell die Forderung Ossietzkys sind, nämlich die Herrschaft des Finanzkapitals über die Politik zu beenden. Wir haben auch nicht vergessen, dass die Deutsche Bank Hitler finanziert hat und werden deshalb immer wieder ihren Namen nennen.
Ossietzky hat den Antisemitismus und Rassismus der Nazis angeprangert. Auch das ist aktueller denn je.
In diesen Tagen erleben wir durch das Verfahren vor dem Münchener Oberlandesgericht, was der rechte Terror des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) in der Bundesrepublik Deutschland angerichtet hat. Er kostete zehn Menschen das Leben. Er erwuchs aus dem Rassismus in der Gesellschaft, der Verharmlosung der rechten Gefahr durch die Behörden und dem systembedingten Versagen der Geheimdienste. Und wer einmal auf der Gehaltsliste der Ämter stand, erhielt offenbar obendrein auch Schutz vor Polizei und Justiz. Warnungen vor Razzien und eine schützende Hand bei Verfahren, davon berichten Kripo-Beamte in den Untersuchungsausschüssen, die gegen neonazistische Gewalt-und Straftäter vorgehen wollten.
Den aus der Türkei und aus Griechenland stammenden ermordeten Gewerbetreibenden und ihren Angehörigen schob man Mitschuld in die Schuhe. Es war dieser rassistisch verblendete Ermittlungsansatz, der Opfer zu Tätern machte und maßgeblich dafür gesorgt hat, dass die NSU-Terroristen über Jahre mordend durchs Land ziehen konnten.
Das alles war alles nur möglich, weil der Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft, angetrieben auch durch die unerträglichen Debatten der
Politik um die Abschaffung des Asylrechts und die Abschottung Deutschlands gegen Flüchtlinge, immer noch vorhanden ist und den ideologischen Boden für diese Untaten bereitet hat.
Der Rassismus ist die Ideologie, die das Handeln Nazis geleitet hat, damals wie heute, zugleich die Ideologie die eine schnellere Aufklärung der NSU-Morde verhindert hat, weil nicht die Täter sondern die Opfer in den Fokus der Ermittlungen geraten sind. Den Rassismus zu bekämpfen bleibt deshalb Tagesaufgabe.
Das bisherige Agieren des Oberlandesgerichts im Streit um die Zuhörerplätze war eher peinlich. Kritisiert wird auch zu Recht, dass der Raum für die Zuhörer zu klein ist. Das ist aber nur ein Nebenproblem. Viel wichtiger ist: Auch die Anklagebank ist zu klein. Dort müssten doch auch die zahlreichen Helfershelferder Rechtsterroristin Beate Zschäpe und der anderen vier Angeklagten sitzen. 129 Unterstützerinnen und Unterstützer sowie Kontaktpersonen soll der »National-sozialistische Untergrund« (NSU) gehabt haben.
Schon die bisherigen Erkenntnisse haben gezeigt: Ohne Hilfe von Neonazis, die als V-Leute des Verfassungsschutzes geführt wurden, hätten die NSU-Terroristen niemals so lange im Untergrund leben und morden können. Wenn nun endlich Beate Zschäpe und ihrenTerrorhelfern aus der Naziszene der Prozess gemacht wird, gehört auch der Verfassungsschutz mit auf der Anklagebank, der immer wieder den Schutz seiner braunen Quellen über die Aufklärung der Verbrechen gestellt hat. Wenn diese Geheimdienste nichts verhindern, nichts aufklären und nicht Leben schützen konnten, dann sind sie überflüssig und gehören abgeschafft.
Gewarnt haben viele davor, gehört wurden sie nicht. Das zeigt wie aktuell es ist, an die Verbrechen in den Emslandlagern immer wieder zu erinnern und auch Persönlichkeiten wie Carl von Ossietzky stellvertretend für die unzähligen Opfer zu ehren. Erinnern wir uns an die Gründungsgeschichte der Oldenburger Uni. Als ich am 6. Juni 1972als studentischer Vertreter im Gründungsausschuss den Vorschlag gemacht hatte, der Hochschule den Namen von Carl von Ossietzky zu geben, war die Begründung: der im Satzungsentwurf festgelegte gesellschaftliche Auftrag der Universität, ihre Arbeit in den Dienst des Friedens und der Demokratie zu stellen, solle auch durch die Namensgebung deutlich werden. Das sollte doch einleuchtend sein. Aber der Widerstand in der etablierten Politik war noch stark und das Wissen über Carl von Ossietzky in der Bevölkerung kaum vorhanden. Die Auseinandersetzung um den Namen gipfelte in einem vom damaligen Kultusminister befohlenen Polizeieinsatz gegen das Anbringen des Schriftzuges am Universitätsgebäude. Einige meinen jetzt vielleicht, das sei nun eine abgeschlossene Sache, der Streit sei jabeigelegt, nachdem am 29.Mai 1991 die Hochschule auch offiziell den Namen tragen durfte. Das ist nur teilweise richtig. Wie sehr wir immer noch über Ossietzky diskutieren müssen, zeigt der Beschluss des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs der Bundesrepublik Deutschland vom 3.12.1992, der sich geweigert hatte, das Urteil der politischen Klassenjustiz des Reichsgerichts aufzuheben, mit dem Ossietzky als Herausgeber der Weltbühne wegen Hochverrats verurteilt worden war, weil er einen kritischen Artikel zur illegalen Aufrüstung der Wehrmacht mit einer Luftwaffe veröffentlicht hatte. (BGHSt 39, 75).
Ossietzky hätte auch zu diesem Urteil gesagt, was er zur politisch einäugigen Justiz in der Weimarer Republik gesagt hatte: "Ich kenne die Roben."
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich spreche dies an, weil es zeigt, was wir in der heutigen Zeit brauchen: Viel mehr kritischen Geist, viel mehr Aufbegehren gegen soziales Unrecht, eine offensive Auseinandersetzung mit Rassismus,Antisemitismus,Antiziganismus und Islamophobie, die nicht nur am Rand sondern auch mitten in der Gesellschaft vorhanden sind, und eine stets wache Erinnerungskultur in Bezug auf die Erfahrungen mit dem Faschismus in Deutschland, damit so etwas nie wieder vorkommt.